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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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wollen einen loswerden, wenn man gekommen ist. Doch es war ein stiller Sonntag, und es ging geruhsam zu. Montags war am meisten los, das wusste jede Nutte zu berichten, und ich hatte zwei als Patientinnen. Nach einem besinnlichen Wochenende mit der Familie brannten die meisten Männer offenbar darauf, endlich wieder ihre gebührenpflichtige Lieblingsschlampe zu besuchen.
    Ich gab ihr einen Abschiedskuss, und Madame Jenny, die wie alle Puffmütter auf der Welt an diesem Abend eine Soap sah und ein Kreuzworträtsel löste, gab ich ein Trinkgeld.
    »Hier, Süßer«, sagte sie und reichte mir die Weihnachtskarte.
    Ich stolzierte wie ein Cowboy nach draußen und schnüffelte an meinen Fingern, die nach Möse rochen. Am liebsten hätte ich laut aufgelacht, und ich fühlte mich zugleich erniedrigt und verängstigt, ohne zu wissen, warum.
    TEIL DREI
    ACHTUNDZWANZIG
    Auf der Heimfahrt nach dem Lunch sagte Bushy: »Doktor, ich hoffe, du nimmst es mir nicht krumm, wenn ich das an dich rantrage, aber Bushy hat'n komisches Gefühl.«
    »Stimmt etwas mit dem Auto nicht?«
    »Nee. Es geht um dich.«
    »Um mich?«
    »Sir, ich muss dich darauf hinweisen, dass man dich genau beäugt. Beobachtet. Kapiert?«
    »Beobachtet. Aha. Und wer beobachtet mich?« »Ein Mann.«
    »Ein Mann? Aber wer könnte dieser Beobachter sein? Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich habe dieses Gefühl - so ein Jucken, so ein Kitzeln - in meinem Zinken, und das hat mich noch nie getrogen.«
    »Na, los, erzähl mir mehr darüber.« Er wollte gerade den Mund auftun, da sagte ich: »Warte mal, Bushy. Bist du dir hundertprozentig sicher, dass ich das wissen muss?«
    Bushy musterte im Rückspiegel sein Riechorgan und fuhr mit einem nikotingelben Finger über den Nasenrücken. »Sehe ich heute etwa komisch aus, Boss?« Er drehte sich um. »Schau mal mein Gesicht an ... meine Nase.«
    Ich erblickte eine wüste Landschaft aus Mitessern, Pickeln, Blutquasten und Kratern. »Sieht alles bestens aus.«
    »Jau, ganz genau.« Er fuhr fort: »Wie gesagt - da ist dieser Typ, der dich im Auge hat. Ich schätze, er könnte gefährlich werden.«
    »Gefährlich?«
    »Ziemlich sehr sogar«, erwiderte Bushy mit einem Unterton tiefer Zufriedenheit.
    Ich hatte die Fahrt genossen. Bushy kannte meine Lieblingsstrecke und wusste, dass ich gern einen Blick in das Schaufenster von Harvey Nichols warf, hielt sich an der Kreuzung bei Knightsbridge links und fuhr an Harrods vorbei, bis schließlich rechts das Victoria-&-Albert-Museum in Sicht kam, sodass ich sehen konnte, welche Ausstellung lief. Ich ging gelegentlich zur Entspannung in das V&A. Der Aufenthalt in einem Gebäude - vielleicht in jedem schönen Gebäude, Hauptsache, es war kein Geschäft -, in dem man mit Muße Kunstwerke betrachten konnte, brachte mich auf gute Gedanken. Das war sogar in Begleitung von Josephine so gewesen, mit der ich früher oft dort gewesen war. Nach dem V&A kam zunächst einmal nichts Interessantes mehr. Das änderte sich erst in der Gloucester Road. Falls ich Zeit hatte, bat ich Bushy, mich vor dem dortigen Antiquariat abzusetzen, das sich dicht bei der U-Bahn-Station befand. Ich verbrachte eine halbe Stunde im Untergeschoss des Ladens und ging dann zum Lesen ins Coffee Republic nebenan. Mein Lesehunger und meine Begeisterung für Bücher - und die darin enthaltenen Ideen - war mit den Jahren nicht abgeflaut. Der Riemen meiner Tasche schnitt mir immer in die Schulter, weil ich zahlreiche Bücher mit mir herumschleppte, die ich unbedingt lesen wollte. Wie viele Taxifahrer betrachtete auch Bushy eine Fahrt als Gelegenheit, ein Publikum zuzutexten, das »in der Falle« saß, aber wir waren beide so oft zusammen unterwegs gewesen, dass er wusste, wann ich nicht zuhören oder antworten mochte.
    »Das kratzt dich nicht weiter, ist mir klar«, sagte er. »Aber ich finde, du musst das wissen. Ein Mann, der das nicht weiß, muss irgendwann die Folgen ausbaden.«
    »Ach, wirklich?«
    Es dauerte eine Weile, bis ich mich auf seine Worte konzentrieren konnte. Ich dachte immer noch über das nach, was Karen mir beim Lunch erzählt hatte. Sie hatte mich mehr oder weniger sofort nach dem Aufwachen angerufen und mich in das Ivy eingeladen. Sie habe seltsame Neuigkeiten, sagte sie mir am Telefon. Der Ruf, ein geduldiger Zuhörer zu sein, kann einem das Leben zur Hölle machen. Man kommt sich manchmal vor wie eine Dorfhure oder, schlimmer noch, wie ein Pfarrer. Doch eine Einladung ins Ivy mochte ich nicht abschlagen.

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