Das sag ich dir
erwiderte ich. »Das hat mich daran erinnert, dass sich unsere Gesellschaft ohne jeden Grund darauf versteift, optimistisch sein zu müssen, und die Depressiven deshalb hasst.«
Sie fuhr herum und bespritzte mich mit Wasser. »Elender Snob! Was hast du Henry wirklich gesagt?«
»Ich habe ihm gesagt, dass es keine echte Orgie sei. Die echte Orgie findet anderswo statt.«
»Wo?«
»In Bagdad.« Ich fuhr fort: »Ich hatte auf einmal den Job, Bushy zu beruhigen, während du genau wie zu Hause mit einer Rotte tätowierter Frauen geschwatzt hast. Die Männer und ihre Penisse haben dein Blut nicht gerade in Wallung gebracht.«
»Kann sein, dass ich etwas still war, aber ich habe mich gründlich umgesehen«, sagte sie. »Es gibt da eine Frau mit Maske, auf die Henry immer scharf ist.«
»Ist sie oft dort?«
Miriam zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nie so genau, wer sie ist. Nackt sehen sich die Leute alle so ähnlich, und ich trage dort nie meine Brille.«
Ich hob die Katze über meinen Kopf. »Natürlich nicht. Bist du eifersüchtig?«
»Er fickt die Frau, aber er kommt immer in mir. Das ist die Abmachung. Er gehört zu mir, und das weiß er ganz genau. Falls nicht, werde ich ihm eigenhändig meinen Namen auf den Arsch tätowieren.«
Sie sagte: »Jamal, ich warne dich - wenn mich heute jemand nervt, bekommt er fett Ärger, denn ich bin mal wieder schlecht drauf, okay? Die Katze pinkelt dich übrigens gleich voll.«
Ich musste lachen, und sie schüttelte düster den Kopf. Sie nahm jede abfällige Bemerkung über die Suhle persönlich, denn sie hatte sich kürzlich mit Henry heftig über die Szene gestritten.
Nachdem ich Karen von der Suhle erzählt hatte - schon vor einiger Zeit -, hatte sie sich den Club gemeinsam mit Miriam angeschaut, eingehüllt in mehrere Quadratmeter klebriges Plastik, in dem sie, wie Henry sich ausdrückte, wie eine Backkartoffel in Alufolie aussah. Sie hatte beschlossen, drei Fernsehsendungen über das zu produzieren, was sie in der Sprache der Boulevardzeitungen als »den Bauch (oder besser: den Schmerbauch) der suburbanen britischen Sexualität« bezeichnete -Partnertausch, Fetischismus und so weiter. Sie hatte Miriam sogar schon zum Lunch eingeladen, um die Sache zu diskutieren.
Miriam fand es nicht nur toll, im Fernsehen zu sein, sondern auch, als »Beraterin« zu fungieren. Karen hatte ihr nämlich eingeredet, dass sie genau die Richtige sei, um irgendwelche Aspiranten zur Teilnahme an der Sendung zu überreden. Miriam sah darin eine Chance, durch die sie wie Henrys Freunde zum Medien-Profi werden konnte. Miriam hatte sogar erzählt, dass Karen mich als »psychologischen Experten« in die Sendung einbeziehen wolle. »Sie hat mir versichert, dass du bezahlt wirst«, hatte Miriam hinzugefügt. »Was hältst du davon?«
»War Karen gut gelaunt?«
»O ja. Gleich nach unserem Treffen hatte sie ein Date mit einem amerikanischen Fernsehproduzenten. Ich habe ihr ein paar gute Tipps gegeben, was sie anziehen soll.«
Doch als sie Karens Vorschlag als gemeinsames Projekt an Henry herangetragen hatte, hatte dieser Karen und »ihr Gesockse« sofort in die Tonne getreten und zu einem intensiven Monolog über »das Ende der Privatheit« angesetzt. Wenn jeder berühmt werden, aber niemand kontrollieren könne, wie er als Berühmtheit in der Öffentlichkeit gesehen werde, gebe es weder Helden noch Schurken. Wir würden in einer Demokratie der Verrückten, der Exhibitionisten und der Opfer leben. Die Medien seien zu einer Freak-Show verkommen.
»Und was wäre die Alternative?«, fragte Miriam wütend.
Laut Henrys Argumentation sei eine solche Nahaufnahme des Individuums stets das Privileg von Drama und Roman gewesen. Bis vor kurzem habe man den anderen mit Hilfe der Intelligenz und Phantasie von Künstlern wie Ibsen oder Proust untersucht. Inzwischen enthüllten alle alles, aber keine Sau begreife etwas. Er jedenfalls wolle nicht im Fernsehen angegafft werden, zumal der Erkenntnisgewinn für die Öffentlichkeit gegen null tendiere.
Miriam bezeichnete die meisten seiner Einwände als »kopflastigen Quatsch«, doch sie begriff, dass Henry ihren Wunsch, bei den Sendungen mitzuarbeiten, idiotisch und vulgär fand. Es war etwas, das sie nicht allein tun wollte, und es war nichts, bei dem er mitmachen konnte.
»So fremd habe ich mich ihm noch nie gefühlt«, sagte sie. »Wir machen doch alles gemeinsam. Und dann verklickert er mir auf einmal, so ungeheuer elitär zu sein, dass er es nicht mit
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