Das sag ich dir
brannten -, dass ich fast geflohen wäre. Ich war mehr als versucht, noch einmal in ihren Armen zu liegen; dies anonym zu tun, wäre wohl eine der bizarrsten Taten meines ganzen Lebens gewesen.
Ich ging auf sie zu, als sie mit entblößtem Hals dalag, und der Anblick der Gestalten, die sich vor der verspiegelten Wand auf und nieder bewegten, rief mir in Erinnerung, wie gern sie vor einem Spiegel Sex gehabt hatte, ein Bein auf einen Stuhl gelegt. Von mir war kaum etwas zu sehen, nur meine dunklen Hände, die über ihre weiße Haut glitten, während sie sich selbst beobachtete.
Ich dachte: In der Oper wäre sie in diesem Augenblick von irgendjemandem ermordet worden. Ich bebte und glaubte, meine Beine würden mir den Dienst versagen.
Sie war erregt; ihr Gesicht schien zu glühen. Sie hatte ihr Leben lang Angst vor dem Erröten gehabt - »eine Erektion des Gesichts, gepaart mit dem Wunsch, angeschaut zu werden«, wie es einmal jemand beschrieben hatte -, und das hatte sie noch stärker gehemmt. Manchmal mochte sie aus Furcht vor dem, was sie als Peinlichkeit empfand, nicht aus dem Haus gehen. Scham wäre wohl das passendere Wort gewesen. Wenn sie wütend wurde, schien das Blut in ihrem Gesicht an die Oberfläche zu steigen und förmlich zu kochen. Ich nannte sie immer sehr hilfreich eine »explodierende Erdbeere«. Nun flüsterte sie mir etwas ins Ohr, als hätte sie mich erkannt. »Hallo«, sagte sie und: »Bitte«, und: »Ja, ja.« Ich schwieg, denn ich konnte die anderen Männer an ihr riechen, und fragte mich, ob sie mich am Zucken meiner Augenlider erkannte, das sie oft kommentiert hatte.
Im flackernden Licht erblickte ich in ihrem Nackenhaar einen Leberfleck, der mir noch nie aufgefallen war, und ich küsste ihn. In der Nähe sang Bushy einen Song von Mavis Staples: »I'll take you there ... I'll take you there ...« Ich hätte mich fast wieder in sie verlieben können, dachte aber: Ein besserer Mann hätte sich mit Namen vorgestellt, sie aufgehoben und aus der Suhle an einen saubereren Ort getragen. Ich war mir nicht mehr sicher, was es hieß, einen Erwachsenen zu lieben, doch beim Anblick ihrer vertrauten, weißen Glieder wusste ich, dass ich sie jeder anderen Frau vorzog.
Da merkte ich, dass Bushy nicht mehr spielte. Ich war auf dem Weg zur Bar, als Henry auf mich zukam.
»Ich habe dich überall gesucht«, sagte er und zupfte sich besorgt am Bart. »Bushy will nicht rauskommen.« Er zeigte auf die Behindertentoilette. »Die Security hier könnte ihn natürlich mit Gewalt holen, aber es wäre einfacher, wenn er deine Stimme hört.«
Ich klopfte an die Tür. »Darf ich reinkommen?«
»Verpiss dich!«
»Kann ich mit dir reden - über die Musik?«
Stille trat ein. Die Tür tat sich auf, und ich betrat das helle Kabuff. Bushy verriegelte wieder von innen die Tür. Die Wasserhähne liefen, die Neonröhre brummte, und der Trockner, offenbar blockiert, dröhnte ununterbrochen und klang in dieser Enge wie ein Rasenmäher. Es war heiß. Gut möglich, dass ich zugedröhnt war, denn Bushys Körper wirkte wie durch eine Zerrlinse gesehen. Ich hatte diesen nackten, schmutzigen Orpheus vor dem Spiegel gestört, wo er mit einer Rasierklinge in der Hand stand und seinen räudigen Riechkolben untersuchte. Seine weit offenen Augen, die mit keiner Wimper zuckten, sahen in diesem seltsamen Licht aus, als würde eines in einer gelben, das andere in einer bläulichen Höhle liegen.
»Komm bloß nicht auf falsche Gedanken.« Er hielt die Klinge über seine Nase, als würde er nach einer geeigneten Stelle zum Ansetzen suchen. »Ich schneide sie nicht ab. Ich werde sie nur ein bisschen kappen. Ich werde sie beschneiden - damit sie mich nicht mehr nervt.«
»Du kannst dich doch nicht in die Nase schneiden. Du saust dich ja über und über mit Blut ein.«
»Glaubst du, ich hätte mich zum Spaß ausgezogen?« Er warf mir einen Blick zu und tippte sich an die Nase. »Was meinst du - ist diese Stelle richtig?«
»Es ist weder die richtige Stelle noch der rechte Zeitpunkt. Du würdest einen Fehler machen«, sagte ich und ging mit seinen Kleidern unter dem Arm von hinten auf ihn zu.
»Bleib weg!«, sagte er.
»Was soll ich machen, alter Freund? Wir sind gemeinsam in einer Toilette. Draußen stehen Leute Schlange, denen schon die Blase platzt.« Ich streckte die freie Hand aus. »Lass die Leute nicht hängen, nachdem du ihr Interesse geweckt hast.«
Er ließ die Rasierklinge auf meine Handfläche fallen. Er nahm seine Kleider
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