Das sag ich dir
nützlicheren männlichen Eitelkeiten überwunden haben könntest - den Wunsch nach Anerkennung«, sagte ich.
»Ja, ich denke darüber nach. Ich möchte in meinem Leben möglichst wenig Schaden angerichtet haben«, erwiderte er. »Und irgendwie nützlich gewesen sein. Ich möchte am Ende nicht feststellen, dass ich meine Intelligenz oder mein Talent verraten habe, das jedenfalls, was ich davon besitze. Denn es gibt Talent, das ist eine Tatsache, und es bleibt ein Rätsel. Am Jahresende habe ich immer als Zusammenfassung in mein Tagebuch geschrieben: >Gott sei Dank, ich muss mich für nichts schämen.< Aber in diesem Jahr habe ich überhaupt nicht gearbeitet.«
»Vielleicht tut es dir ja gut, dich eine Weile auszuruhen und nichts zu tun«, sagte ich.
»Ich habe geglaubt, mein künstlerischer Ehrgeiz wäre am Ende - wie bei einem dieser Charaktere von Tschechow, die zwar arbeiten wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Aber jetzt habe ich wieder ein bisschen mehr Kraft.«
»Schön für dich, dass du wieder auflebst. Das wird Miriam freuen.«
»Ich gehe heute zu ihr, um die Sache zu klären. Kommst du später auch noch vorbei?«
»Ich treffe mich mit Ajita.«
»Gibt es da noch irgendeine Hoffnung?«, fragte er leise. »Wir werden kurz zusammensitzen, und dann wird sie vermutlich ausgehen.«
»Mein Gott, Jamal, wie schrecklich. Inzwischen weiß ich ja, dass du eine Ewigkeit auf diese Frau gewartet hast, und nun - was nun? Hat es nicht funktioniert?«
»Wer weiß? Vielleicht klappt es irgendwann einmal.«
»Aber die Sache hat etwas Trauriges, oder?«
»Etwas Vergebliches.«
Wir umarmten einander. Er kehrte in seine Wohnung zurück, und ich stieg in den Zug, wo ich endlich wieder zum Lesen kam, denn wie Henry wollte auch ich noch mehr lernen und begreifen.
Ajitas Haushälterin trug eine gestärkte weiße Uniform wie eine der Mägde in den Kinderbüchern aus der Zeit König Edwards, die ich Rafi immer vorgelesen hatte. Sie führte mich zu Ajitas Schlafzimmer, ganz oben im Haus, klopfte und sagte: »Miss? Ihr Besuch ist da.«
»Danke«, antwortete Ajita, kam heraus und küsste mich. Sie schlug mir beinahe das Ohr mit einer dünnen, unbeschrifteten Schachtel ab. »Ist nur eine DVD. Aber ich glaube, sie wird dich interessieren. Ich weiß ja, wie sehr du dich für Dinge interessierst.«
»Wirklich? Ich dachte, du wolltest mir etwas sagen.«
»Zeigen«, erwiderte sie. »Und du wirst bestimmt überrascht sein. Davon bin ich überzeugt.«
EINUNDVIERZIG
Das Zimmer erstreckte sich über das gesamte Obergeschoss und hatte schräge Dachfenster, die mich an Paris erinnerten. Man hatte einen Blick auf die Dächer Sohos, Antennen und Schornsteine. Gegenüber rauchte ein Kellner, aus einem Fenster gelehnt.
Am Fußende von Ajitas Bett stand ein breiter Fernseher mit Plasmabildschirm. Ein iPod, der an eine Musikanlage angeschlossen war, spielte Musik. Meine Ex-Freundin hörte irgendwelchen ruhigen Mädchen-Funk á la Lauryn Hill und tanzte gutgelaunt ein bisschen durch den Raum, mit nackten Füßen, nassen Haaren und im Bademantel.
»Liegst du schon im Bett?«, fragte ich.
»Gerade aufgestanden. Ich esse immer spät. Genau wie Mushy, das weißt du doch.« »Ist er hier?«
»Bist du etwa wegen ihm gekommen? Er ist nach Amerika geflogen, um Hilfe für Alan zu organisieren, der sehr krank ist.« Offenbar reizte ich sie, und vielleicht hatte sie mich gar nicht treffen wollen. Sie sagte: »Tut mir leid, dass ich in letzter Zeit so unzuverlässig gewesen bin, Jamal. Aber ich hatte viel mit Anwälten und anderem Kram zu tun.«
»Wieso?«
Sie zögerte. »Ich habe jeden Tag mit den Kindern und mit meinem Mann gesprochen. Ich habe immer wieder gesagt, ich wolle zurückkommen, aber jedes Mal, wenn ich mir das Ticket gekauft hatte, habe ich mich gefragt: Wozu?
Mark war wütend und wollte mich holen. Also habe ich ihm gesagt, dass ich mich scheiden lassen will. Er hat so etwas nicht verdient, denn er ist ein wunderbarer Mann. Aber ich habe unsere Kinder großgezogen. Jetzt gibt es anderes zu tun.« »Was sagt Mustaq dazu?«
»Warum zum Teufel fragst du das? Ich wusste, dass das kommt. Glaubst du, wir wären siamesische Zwillinge?« Ich schwieg. »Er regt sich natürlich auf. Er hat mich damals zur Heirat mit Mark gedrängt. Er sagt immer wieder, ich würde Sicherheit brauchen. Aber ich muss hier ein paar absolut dringende Sachen erledigen.«
»Du bist schon eine ganze Weile in London.«
»Bist du jetzt zur
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