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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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telefonieren. Aber was versteckt er denn vor mir? Meinst du, es sind schlechte Neuigkeiten? Was, wenn er in die Luft geflogen ist?«
    »Wie bitte? Warum denn das?«
    »In einem Zug, wie bei den Bombenattentaten in Madrid! Zweihundert Tote! Das könnte hier auch passieren, oder?«
    »Die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Oscar gewinnt, dürfte weit höher sein.«
    »Was, wenn er mich verlassen hat? Dann wäre ich total am Ende.« »Hat er das gesagt?«
    »Er hat nur gemurmelt, dass er nicht an den Dalmatiner denken wolle.« Ich seufzte. Miriam begann zu weinen. »Es war schon schlimm genug, dass ich ihn einschläfern lassen musste. Aber diese Tochter hat
    Henry gegen mich aufgehetzt. Weißt du, wo sie wohnt? Ich besorge mir ihre Adresse, und dann knöpfe ich sie mir noch einmal vor - und dieses Mal gründlich!«
    Als ich später zu Ajita fuhr, klingelte ich vorher noch bei Henry, obwohl ich nicht erwartete, dass er zu Hause war. Vielleicht war er verreist, wie er es manchmal tat, um ein paar Tage durch eine fremde Stadt wie Budapest oder Helsinki zu schlendern, Skizzen zu machen, zu lesen und Museen zu besuchen.
    Doch das Fenster ging auf, und er streckte den Kopf heraus. Er kam sofort in seinen Schlappen nach unten. Er war guter Laune, ja sogar aufgekratzt, und schien keineswegs in einer Krise zu stecken.
    »Lag es an dem Hund?«, fragte ich ihn, als wir unter der Hammersmith Bridge zum Bahnhof gingen.
    »Es war ein verdammt guter Hund. Ich habe oft die Runde mit ihm gedreht. Aber diese Zeremonie war komisch.«
    Miriam hatte ein paar Nachbarn eingeladen, die Kinder, weitere Freunde und natürlich Henry. Alle sollten dabei sein, wenn der Tierarzt dem Hund die tödliche Spritze gab. Henry sagte: »Als ich mich hingekniet und mein Ohr auf das Herz des sterbenden Hundes gelegt habe - der nicht wusste, dass er gleich sein Leben aushauchen würde -, habe ich mich voller Liebe von ihm verabschiedet. Ich habe mich mit aller Unbefangenheit, zu der ich fähig bin, auf dem Boden gewälzt und sogar die entsprechenden Klagelaute ausgestoßen. Man kann mir auf keinen Fall vorwerfen, meine Hundepflichten vernachlässigt zu haben.«
    »Das muss ich unbedingt auf Video sehen.«
    »Aber als die anderen an der Reihe waren, wurde mir auf einmal klar, dass ich keine Lust mehr habe, Zeit mit Leuten zu verbringen, die krepierende Kläffer umarmen. Meine Phobie gilt dem Abgrund der Langeweile. Ich habe eine gewaltige Angst davor, hineinzustürzen und zerstört zu werden. Davor bin ich mein ganzes Leben weggerannt.«
    »Oder darauf zugerannt.«
    Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Miriam und ich hatten eigentlich beschlossen, später noch in einen Club zu fahren, einen neuen, das Midnight Velvet.« Offenbar zog ich ein Gesicht, denn er fragte: »Die Suhle hat dir nicht gefallen, oder?«
    »Überhaupt nicht. Der Laden hat mich richtig deprimiert, vor allem, weil ich Josephine dort gesehen habe. Ich habe mich grün und blau geärgert, weil ich mich zum Mitkommen hatte breitschlagen lassen.«
    »Gibst du mir die Schuld daran?«
    »Zum Teil. Aber vor allem mir selbst.«
    »Das tut mir wirklich leid, Jamal. Und ich neige dazu, dir beizupflichten.« Er sagte: »Monatelang wollte ich meiner Lust bis an ihre äußerste Grenze folgen, bis auf Messers Schneide sozusagen. Aber diese Clubs reizen mich nicht länger, und meine Phantasie beschäftigen sie auch nicht mehr. Meine eigene Tochter hat mich als zugedröhnten Hurenbock bezeichnet, oder? Ich hatte diese ausgelaugte Dekadenz nicht wirklich durchschaut. Dann habe ich mich unrein gefühlt und mich vor mir selbst geekelt. Ich war zu diesem sterbenden Hund geworden. Und ich habe etwas aus meinem alten Leben vermisst.
    Ich bin gegangen, ohne Miriam zu stören - sie war ja mit all ihren geliebten Menschen zusammen -, und bin nach Hause gefahren. Die Welt unter Bush-Blair, eine Welt voller Toter und Verstümmelter, hat mich angewidert. Ich fühlte mich immer hoffnungsloser.
    Doch in der Nacht des toten Hundes bin ich aufgeblieben, bis es gedämmert hat, und habe Gedichte gelesen, Shakespeare und Dostojewski, bin von einem Buch zum nächsten geeilt und habe dabei Mahler und Bach gehört. Findest du nicht auch, dass die Kunst Sinnstifterin und Ruhepol in einer durchgeknallten Welt ist? Ich habe Ideen notiert und E-Mails an Schauspieler geschrieben, die in meinem Dokumentarfilm auftreten sollen. Ich habe meine Vorstellungen für Don Giovanni umrissen.«
    »Kürzlich habe ich mich gefragt, ob du eine der

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