Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
schmutzig zu machen und sich Gefahren auszusetzen; da gibt es Angst, Ekel, Selbsthass, moralisches Scheitern. Genuss ist harte Arbeit, und nicht jeder - vielleicht sogar fast niemand - kann ihn vertragen.
    Die Sex-Show war zu Ende. Der Junge warf seine Kleider ab und ging zu Bett. Durch die offenen Türen konnte ich sehen, wie er schlief. Er hatte Kopfhörer auf, und die Musik war so laut, dass ich 50 Cent auf eine Weise genießen durfte, die ich mir lieber erspart hätte. Sobald Rafis lange Wimpern wie die Flügel eines landenden Schmetterlings immer schwächer flatterten, stellte ich die Musik aus.
    Ich setzte mich an den Tisch und genoss die Lieblingssünde meines Vaters, sozusagen mein Erbteil: ein Glas fast gefrorenen Wodkas und eine Packung Vanilleeis von Häagen-Dazs. Ich löffelte und schlürfte abwechselnd, und die Katze saß auf meinen Papieren - ich war bereit. Zuerst würde ich mit meinem Füllfederhalter schreiben und danach alles in meinen neuen Apple G4 tippen. Ich konnte sogar Musik damit hören, und wenn ich mich langweilte, sah ich mir die Fotos und Bilder an, die mich derzeit interessierten. Da ich nicht schlafen konnte und immer wieder von Energieschüben heimgesucht wurde - etwas ganz Neues für mich -, hatte ich über die Zeile von Ibsen nachgedacht, die Henry zitiert hatte: »Wir reisen mit einer Leiche im Gepäck.«
    Aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an den Vers, der mir schon früher eingefallen war und der mir nicht mehr aus dem Kopf ging: »Sie war meine erste Liebe, aber ich nicht die ihre.«
    Oh, Ajita, wenn du noch lebst, wo steckst du jetzt? Ob du je an mich denkst?
    DREI
    Gut, dann muss ich wohl mit dieser Geschichte innerhalb der Geschichte beginnen.
    Eines Tages tat sich eine Tür auf, und ein Mädchen kam hereinspaziert.
    Das war Mitte der siebziger Jahre.
    Zum ersten Mal sah ich Ajita in unserem Unterrichtsraum im College, einer Höhle mit stickiger, trockener Luft, die sich in den Tiefen eines neuen Gebäudes am Strand verbarg, nicht weit entfernt vom Trafalgar Square. Ich studierte Philosophie und Psychologie an der Universität in London. Ajita war sehr spät dran für die Diskussion über die
    Handlungspfeile des heiligen Anselm. An dem Tag war der Kurs fast gelaufen, und außerdem hatte er schon vor zwei Monaten begonnen. Wenn sie die Leute davon überzeugt hatte, sie zu einem so späten Zeitpunkt noch am Kurs teilnehmen zu lassen, musste sie triftige Gründe gehabt haben.
    In den Unterrichtsräumen des College war es so heiß wie in einem Krankenhaus, und Ajita war rot im Gesicht und wirkte unsicher, als sie eine halbe Stunde nach Beginn des Kurses hereinkam und Autoschlüssel, Zigaretten, Feuerzeug und mehrere Hochglanzmagazine ablegte, von denen keines das Wort >Philosophie< im Titel führte.
    Am Kurs nahm ein gutes Dutzend Studenten teil, die meisten abgerissene Hippies, fleißige Akademikertypen - jene Leute, die mein Sohn »Streber« nennen würde -, ein Grufti und ein paar Punks mit Sicherheitsnadeln und Bondage-Hosen. Die hippen Jugendlichen wurden Punks; ich war mit einigen von ihnen zur Schule gegangen, und wenn ich mit meinem Freund Valentin unterwegs war, sah ich sie immer noch im Water Rat oder Roebuck und manchmal auch im Chelsea Potter in der King's Road. Aber ich fand sie schmutzig, roh und deprimiert, und außerdem rotzten sie ständig in der Gegend herum. Die Musik war zwar wichtig, aber niemand mochte sie hören.
    Ich war immer ein ordentliches Kind gewesen, und Unbegabtheit - zu der sich die Punks aus Prinzip bekannten - fand ich uninspirierend. Ich wusste, dass ich begabt war - zu was auch immer -, und mein Stil waren damals schwarze Anzüge und weiße Hemden. Das passte nicht zu den Hippies und war zu geleckt für die Punks, hätte aber als New Wave durchgehen können. Einen William Burroughs hätte man doch nie im Leben mit Glasperlen oder Sicherheitsnadeln ertappt.
    Das indische Mädchen saß auf einem dieser Stühle mit ausklappbarer Schreibunterlage. Sie riss sich den Hut vom Kopf, wickelte sich aus dem Schal und wollte beides auf die glatte Unterlage legen. Die Sachen rutschten hinunter. Ich hob sie auf und legte sie wieder hin, aber sie rutschten ein zweites Mal hinunter. Es dauerte nicht lange, da lächelten wir beide darüber. Sie zog ihren Mantel aus, dann ihren Pullover. Aber wohin mit dem Zeug? Die Sache war ihr unangenehm, sie zog sich in die Länge, und alle sahen zu. Wie viel Kleidung, Parfüm, Haar, Schmuck und anderen Schnickschnack

Weitere Kostenlose Bücher