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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Abhandlungen zur Sexualtheorie mit seinen Gedanken zu Fetischismus, Homosexualität und Exhibitionismus, zu Sadismus, Bestialität und Analverkehr, Bisexualität, Masochismus und Voyeurismus. Mir fiel ein Witz ein: Wie normal wären Sie gern? Neurotisch normal, psychotisch normal oder pervers normal?
    Vielleicht würde mein Sohn eines Tages am liebsten einem Fremden in einer Toilette einen blasen, vielleicht würde er sich auch gern den Arsch versohlen lassen, während ihn ein schwarzer Transvestit fellationierte. Die Lust kennt viele Abarten, und dazu kommen noch die ästhetischen Aspekte: Riechen, Hören und Schmecken. Und Reden. Das Reden ist beim Sex mehr als die halbe Miete, denn Wörter wecken Lust. Wenn das Reden eine erotische Kunst ist, was könnte da erotischer sein als Geflüster? Allerdings ist die Wiederholung eine sehr beständige Form der Liebe: In Marquis de Sades Philosophie im Boudoir versichert uns Madame de Saint-Ange, dass ihr Mann in den zwölf Jahren ihrer Ehe jeden Tag um das Gleiche gebeten habe - dass sie seinen Schwanz lutsche und ihm dabei in den Mund scheiße.
    Ich könnte noch hinzufügen, obwohl es zynisch klingen mag und etwas ist, das ich Josephine gegenüber nie erwähnt hätte, dass es die sexuelle Lust nie auch nur einen Deut gesteigert hat, wenn man jemanden liebt oder mag. Im Gegenteil: Wenn man jemanden nicht mag, verabscheut oder gar hasst, kann es viel lustvoller sein. Man denke nur an die Aggression - ja, Gewalt -, die zu gutem Sex gehört.
    Worin also bestand der Genuss, und wer konnte dafür garantieren? Sollte ich Rafis Zug der Lust auf das höchste, wenn auch fast tyrannisch zu nennende ideale Ziel dessen hinlenken, was Freud etwas zu optimistisch »volle genitale Sexualität« nannte? Oder sollte ich ihm raten, an anderen Bahnhöfen auszusteigen oder eine der Abzweigungen zu nehmen? Wie der große Wiener Satiriker Karl Kraus bemerkte - ein von Freud als »verrückter Schwachkopf« charakterisierter Mann -, gibt es nichts Tragischeres auf der Welt als einen Fetischisten, der nur einen Schuh will, aber die ganze Frau bekommt.
    Eine der »Wahrheiten« über Sex, die auch Rafi herausfinden würde -vermutlich schon bald -, bestand darin, dass er sehr problematisch ist, von vielen Menschen gehasst wird und ungeheuer viel Scham, Wut und
    Peinlichkeit auslösen kann. Henry und seine Generation haben viel getan, um uns über das Wesen der Lust aufzuklären, aber ganz gleich, für wie frei wir uns halten - die Schrecken religiöser Moralität sind wir vermutlich los -, unser Körper wird uns immer mit seinen unvermuteten Begierden und perversen Weigerungen plagen, als hätte er seinen eigenen Willen und als würden wir einen Fremden in uns tragen.
    Josephine gefiel es, wenn jemand mit ihr flirtete, doch sie blendete alles aus, was zwischen den Zeilen gesagt wurde. Für engagierte Eltern gab es viele Gelegenheiten für Freuden dieser Art. Mehrere unserer Nachbarn hatten anstrengende Beziehungskisten rund um den Schulalltag organisiert, und Liebhaber konnten sich zweimal pro Tag am Schultor treffen. Die Kinder hatten viel miteinander zu tun, natürlich, die Eltern aber noch viel mehr, wie Josephine bald erfahren musste. Der Spielplatz war ein emotionales Minenfeld, und dazu kam, dass die Kinder aus muslimischen Familien die Häuser der Weißen nicht betreten durften. Im Bett, jedenfalls in der Zeit, als wir noch eines teilten, erzählte mir Josephine den Tratsch, und mir fiel ein Buch dazu ein, Updikes Ehepaare, das Dad mir vererbt hatte und das mir damals mit all seinen alltäglichen Betrügereien herrlich verdorben vorgekommen war. Zu der Zeit waren es die Betrügereien - und die daraus entspringenden Geheimnisse -, die für mich die schönsten Verstöße darstellten.
    Die seltsamste aller Perversionen ist das Zölibat, denn es hasst die Lust und versucht, sie auszulöschen. Nicht, dass man die Lust ein für alle Mal loswerden könnte. Sie kehrt immer wieder zurück wie die Toten oder wie schlechtes Essen - denn sie ist unverdaulich. Rafis Mutter hatte auf ihrer Unschuld beharrt, ja, sie hatte sich sogar daran geklammert. Der Verdorbene war immer ich. Von ihrem Standpunkt aus war das eine sehr sinnvolle Arbeitsteilung. Allerdings begriff sie nicht, dass die Unschuldigen zwar alles haben - Integrität, Respekt, moralische Tugend -, doch den Genuss kennen sie nicht. Genuss: Strudel und Abgrund - das, was wir zugleich fürchten und begehren. Zu genießen heißt, sich Hände und Geist

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