Das sag ich dir
»Die Mauer sieht allerdings nicht sehr gemütlich aus.«
Rafi behielt sowohl seinen Gameboy als auch die Szene im Garten im Auge, die sich rasant entwickelte. Die Katzen sprangen auf den kleinen Rasen, wenige Schritte von uns entfernt. Der Kater schlug der Katze die Zähne in den Nacken, warf sie zu Boden und schob sich auf sie. Gut sah das nicht für ihn aus, sondern eher so, als würde man die Finger in eine Tüte mit Nadeln stecken.
»Ist das eine Vergewaltigung?«, fragte Rafi.
»Ich fürchte, es gefällt ihr.«
»Sind sie glücklich?«
»Ja, weil sie sich für kurze Zeit vergessen können.« Ich zog die Tür zu, um sie nicht zu stören. »Gestern haben sie es am gleichen Ort gemacht. Aber der Sex ist grob. Man sollte nicht glauben, dass es hier im Viertel so wild zugeht.«
Die Katze lag auf dem Rücken, und der Kater hockte auf ihr, ganz aufs Stoßen konzentriert, ruckelte sich in eine bessere Position, stieß heftiger, eine Pfote auf ihren Bauch gedrückt. Sie spuckten und fauchten einander an.
»Ekelhaft«, sagte Rafi und zog ein Gesicht. »Dieses neue Spiel ist schwierig«, fügte er wichtig hinzu, und der Gameboy gab ein schwaches Piepen von sich.
»Bei dem amerikanischen Dichter Robert Lowell heißt es in etwa: >Doch die Natur ist sonnentrunken von Sex.<« »Aha?«, erwiderte Rafi.
»Offenbar sind Menschen die einzigen Tiere, die beim Sex keine Zuschauer mögen. Außerdem sind sie die einzigen Tiere, die ihre Toten begraben.« Ich fügte hinzu: »Hast du gewusst, dass die Klitoris 1559 von Columbus entdeckt wurde - Renald Columbus von Padua? Er nannte sie >die Süße der Venus<.«
»Aha?«
»Das stimmt«, sagte ich.
»Das kenne ich doch alles schon, die Tatsachen des Lebens und so weiter. Aus einem Schulbuch. Findest du, dass ich intelligent für mein Alter bin?«
»Ja. Und ich?«
»Ja.«
»Das liegt daran, dass ich als Kind so viel gelesen habe«, sagte ich.
»Oh, Mann, hattest du nichts Besseres zu tun?«
Der Katzensex zog sich in die Länge, und Rafi öffnete die Türen, um besser zuschauen zu können, nahm sich einen Stuhl und setzte sich, kicherte und staunte. Obwohl er sich redlich Mühe gab, ließen sich die Katzen nicht stören. Als sie fertig waren, feierte die Katze die Begattung, indem sie sich auf dem Rücken räkelte und streckte, und der getigerte Kater saß erst auf den Hinterbeinen und sah ihr zu, dann begann er, seine Genitalien zu lecken. Schließlich liefen sie in einen anderen Garten. Sie hätten wohl Händchen gehalten, wenn sie welche gehabt hätten. Rafi wollte seine Mutter anrufen, um ihr zu erzählen, was er gesehen hatte. Hätte er ihr die Szene geschildert, dann hätte sie mich mit Sicherheit angeblafft, weil ich ihm nicht die Augen zugehalten hatte, doch ihr Telefon war aus. Mit größter Wahrscheinlichkeit versuchte sie sich auch endlich wieder am Sex. Eltern und Schule können sehr hinderlich, ja sogar katastrophal sein, wenn es um Unterricht in der Kunst des Genießens geht. Ich betrachtete den Jungen und musste an meinen Vater denken, der mir so gut wie kein Wissen über Sex, geschweige denn über den Stellenwert vermittelt hatte, den die Lust seiner Meinung nach im Leben eines Menschen hatte. In meinen Zwanzigern war ich sauer auf ihn, weil er nie versucht hatte, mir das zu erklären, was ich damals »die Wahrheit über Sex« nannte.
Aber hätte es mir gefallen, wenn mich ein Vater oder gar eine Mutter aufgeklärt hätte? Wie konnte man Sex definieren, und worauf durfte sich mein Sohn freuen? Ich weiß noch, dass ich mir diese Frage einmal gemeinsam mit Josephine gestellt hatte. Ich hatte sie nach den möglichen Spielarten sexueller Erfahrung gefragt und danach, welche ihr gefallen könnten. »Solange es nett und liebevoll bleibt...«, hatte sie ganz reizend erwidert. Wohl wahr; doch wie La Rochefoucauld über Geister und Liebe bemerkt hat: »Alle reden davon, aber niemand kann mit Gewissheit sagen, sie jemals gesehen zu haben.«
Ihre Worte ließen mich damals kurz verstummen. Ich wusste, dass mein Sohn bald merken würde, wie viele verschiedene Ausdruckssformen der Sexualität existierten. Promiskuität, Prostitution, Pornographie, Perversion, Telefonsex, One-Night-Stands, Aufreißen, S/M, Internet-Dating, Sex mit einer Ehefrau oder einem Ehemann, Sex mit der Ehefrau oder dem Ehemann einer dritten Person. Die Speisekarte war lang, fast so lang wie eine Novelle. Was würde ihm munden? Freud, der bekennende Monogamist, begann die berühmten Drei
Weitere Kostenlose Bücher