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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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hat uns eingeladen, und Mum ist der Meinung, dass Miriam und ich hinfliegen sollten. Aber Miriam schafft es kaum bis ans Ende der Straße, ohne irgendwo anzuecken. Das wirst du merken, sobald du sie
    kennenlernst. Ajita, könnten wir beide nicht gemeinsam nach Pakistan reisen?«
    »Unmöglich. Außer wir heiraten.« »So überstürzt?«
    »Die Leute dort sind ziemlich altmodisch. Außerdem grast meine Mutter ganz Indien nach einem Ehemann für mich ab. Mein Bruder bepisst sich schon vor Lachen. >Na, was macht dein toller neuer Gatte?<, fragt er mich immer. Komm, Jamal, möchtest du eine Runde mit mir tanzen, mein neuer Freund?«
    Wir tanzten zu ihren liebsten Discoplatten, den Blick auf die Füße des jeweils anderen gesenkt, hielten Händchen und strichen uns gegenseitig über das Haar. Später, nachdem wir uns geküsst hatten und ich beim besten Willen nicht wusste, was ich als Nächstes tun sollte - ich fand uns zu hastig, etwa so, wie wenn man eine ganze Tafel Schokolade auf einmal verschlingt -, sagte ich: »Möchtest du vielleicht Der letzte Tango in Paris sehen oder zum Spazierengehen nach Keston Ponds fahren? Wir könnten auch zu mir nach Hause gehen. Dauert nur zehn Minuten.« »Zu dir nach Hause.«
    Unterwegs steckte ich den Kopf in der Hoffnung aus dem Fenster, dass mich irgendwelche Bekannten zusammen mit einem Mädchen im Auto sehen würden. Aber sie waren bei der Arbeit, in der Schule oder Uni. Immerhin wollte Ajita mein Haus sehen; sie wollte mich kennenlernen. Miriam musste auch unbedingt erfahren, dass ich eine richtige Freundin hatte, damit sie endlich einen Erwachsenen und keinen kleinen Bruder mehr in mir sah.
    Trotzdem beunruhigte mich der Gedanke, dass die beiden sich begegneten. Nicht, dass ich gewusst hätte, ob meine Schwester zu Hause war. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war immer verschlossen, und Miriam hatte mir angedroht, meine Eier in einen höchst unangenehmen Kontakt mit einem Käsehobel zu bringen, wenn ich mich auch nur ansatzweise dagegenstemmte. Häufig konnte man nur herausfinden, ob Miriam zu Hause war, wenn man sich hinkniete und die Nase an den Türspalt legte, um nach Selbstgedrehten, Joints oder Räucherstäbchen zu schnüffeln. Wenn ich mutig genug war, schlich ich mich in ihr Zimmer, nachdem sie aus dem Haus gegangen war, und zog ein paar Platten aus den Hüllen - am besten gefielen mir Blood on the Tracks und Blue and Split, aber Miles mochte ich auch. Danach hörte ich die Platten so lange in meinem Zimmer, bis ich das Gefühl hatte, die Musik verinnerlicht zu haben.
    Bei Miriam konnte man auch auf einen College-Dozenten stoßen, ein paar Jungen aus der Nachbarschaft, einen Typen, den sie aufgegabelt hatte, oder auf ihre neueste Freundin. Wenn Miriam überhaupt einmal da war, lag sie im Bett, bis Mum um siebzehn Uhr von der Arbeit zurückkam. Damals arbeitete Mutter in einer Bäckerei, wo sie eine kleine, weiße Bäckermütze trug. Wir hatten immer jede Menge zu essen, auch wenn es manchmal etwas fad schmeckte.
    Doch an jenem Tag schafften Ajita und ich es gar nicht bis zu mir nach Hause. Stattdessen parkten wir in der Nähe in einer ruhigen Straße und küssten uns im Auto, etwas, das wir sehr, sehr gern taten. Wir konnten nicht genug davon bekommen, es war, als hätte man uns zusammengeleimt.
    Am folgenden Vormittag fuhren wir zu einem nahen Wald, nicht weit von meiner alten Schule, und dort hatten wir zum ersten Mal Sex. Ajita trug allerdings eine so enge Jeans und so enge Stiefel, dass wir eine Weile glaubten, jemanden um Hilfe rufen zu müssen, der mit anpackte. Danach schliefen wir im Auto in einer einsamen Straße ganz in der Nähe ihres Hauses miteinander.
    Etwas Bedeutsames nahm seinen Anfang. Sie gehörte mir, fast jedenfalls. Sie war nicht meine erste Freundin, aber sie war meine erste Liebe.
    VIER
    Von da an sahen wir uns sehr oft, meine Liebste und ich. Meist in London, am College oder in Soho. Oder wir trafen uns in der Nähe unseres Hauses an einer Bushaltestelle und fuhren gemeinsam in die Stadt.
    Ich habe wohl nie aufgehört, London durch die Augen eines kleinen Jungen zu sehen. Das London, das mir gefiel, war die Stadt der Exilanten, Flüchtlinge und Immigranten, all jener, für die die Metropole nicht von dieser Welt war und die die englischen Codes nicht zu knacken vermochten, Leute, die nirgendwo zu Hause waren und nicht wussten, wo sie sich befanden. Die Stadt, wie sie durch die Augen meines Vaters ausgesehen hatte.
    Valentin, mein bester Freund, war

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