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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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hatten für mich immer etwas wie von Dickens Überzeichnetes, vor allem, wenn jemand Klavier spielte: Aufgetakelte und schwer parfürmierte Wirtinnen kniffen einen in die Wange und spendierten Chips und Limonade; in den »privaten« Bars saßen Männer mit roten Gesichtern und Krawatte, zwischen Opa und irgendeiner Kellnerin knisterte immer eine leise Verheißung von Lust, und jedes Mal fragte ich mich, wann ich wohl damit an der Reihe wäre.
    Man könnte meine späte Vorliebe für die Unterschicht für aufgesetzt halten, aber ich besuchte fast täglich einen Pub, weil ich hoffte, dort die Charaktere aus meiner Kindheit wiederzufinden, die ursprüngliche weiße Arbeiterklasse Londons.
    Wenn ich mit Großvater unterwegs war, ging ich mehr oder weniger als weiß durch. Manchmal fragten mich die Leute, ob ich ein Südländer sei, aber in unserer Gegend gab es fast keine Leute aus Asien. Die meisten Weißen hielten die Asiaten für minderwertig, für weniger intelligent und in jeder Hinsicht für weniger gut. Nicht, dass man uns damals als Asiaten bezeichnet hätte. Ich glaube, offiziell wurden wir Immigranten genannt. Später galten wir aus »politischen« Gründen als Schwarze. Wir selbst sahen uns allerdings stets als Inder. In Großbritannien bezeichnet man uns immer noch als Asiaten, obwohl wir genauso wenig Asiaten sind wie die Engländer Europäer. Es dauerte lange, bis wir als Muslime bekannt wurden, ein neues Etikett und wiederum eines, das »politische« Gründe hatte.
    Weil ich bis dahin der einzige dunkelhäutige Student im Philosophie-Seminar gewesen war, fand ich, dass Ajita und ich prima zusammenpassten. Sie war klein und schmal und hatte einen knackigen, jungenhaften Körper, meinem nicht ganz unähnlich. Ihr Haar war lang und dunkel, und sie trug teure Kleider und Schmuck, Handtaschen und hochhackige Schuhe. Ja, sie war Inderin, aber sie kleidete sich wie ein italienisches Mädchen, mit goldenem Flitter, und sie liebte Fiorucci, dessen Laden nicht weit von Harrods entfernt war. Jeden Samstag machte sie mit ihren Cousinen einen Einkaufsbummel.
    Ajita war kein wildes Mädchen und weder Feministin noch Hippie oder Mod. Ich fand, dass sie auch eine Firma hätte leiten können, aber wie ich bald an ihren Seufzern, hilflosen Blicken und ihrer gelegentlichen Trübsinnigkeit merkte, tat sie sich schwer mit der Metaphysik. Ich bildete mir ein, ihr dabei helfen zu können, ebenso bei der Erkenntnistheorie, Ontologie, Hermeneutik, Methodik und Logik, vielleicht sogar bei anderen Dingen - allerdings nicht in dem Maße, in dem sie mir helfen konnte, wie ich glaubte.
    Außerdem fand auch ich langsam Geschmack an Geld, denn aus den Medien wusste ich, wie nutzbringend Popstars ihren Reichtum einzusetzen wussten. Ajitas Familie war offenbar wohlhabend, während wir immer knapp bei Kasse waren. Wenn Mum uns ein Geschenk kaufte, wussten wir, welche Mühe damit verbunden gewesen war, und wir versuchten, es so lange wie möglich zu benutzen, auch wenn wir längst das Interesse daran verloren hatten. Angeblich hatte mein Vater in Pakistan Fahrer, Koch und Leibwächter. Doch er schickte uns kein Geld; das kam ihm gar nicht in den Sinn.
    Ajita ging ein paar Platten holen, und an diesem Tag, dem ersten, den ich mit ihr verbrachte, schlenderte ich durch die Zimmer und sah mich dabei so prüfend um, als wollte ich die Bude kaufen und neu einrichten lassen. Vater und Bruder von Ajita waren nicht da, doch ich konnte Zwiebeln riechen, die mit Öl und Gewürzen gedünstet wurden, und ich erhaschte durch einen schmalen Türspalt einen Blick auf eine Nase und ein braunes Auge, wahrscheinlich Eigentum der verhärmten Tante.
    Als Ajita die Musik auflegte, sagte sie mit plötzlicher Nervosität: »Wenn dich jemand fragt, bist du ein Freund meines Bruders. Du wolltest ihn hier besuchen.«
    »Wie heißt dein Bruder?« Ajita murmelte etwas. »Bitte?«, fragte ich, weil ich kein Wort verstand. »Was hast du gerade gesagt?«
    »Er heißt Mustaq. Bei uns wird er manchmal Mushy genannt - oder Mushy Peas. Ich glaube, ihr beide werdet euch sehr mögen. Du willst ihn doch mögen, oder? Er hat es gerade so dringend nötig, gemocht zu werden.«
    »Ich werde mir Mühe geben.«
    »Du brauchst nicht zu flüstern. Sie spricht kein Englisch.«
    »Meine Familie ist ganz ähnlich«, sagte ich begeistert. »Viele meiner Tanten, Cousins und Cousinen kommen im Sommer nach London. Alle anderen haben Pakistan nie verlassen.«
    »Warst du noch nie dort?«
    »Dad

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