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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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viel Angst sie davor hatte, ihn zu verlieren, oder, anders gesagt, wie sehr sie ihn vergötterte - er konnte tun, was er wollte, und sie würde es akzeptieren, ohne ein Wort über ihre Unzufriedenheit zu verlieren, weil sie befürchtete, er könnte dies als Anlass nehmen, sich für immer von ihr abzuwenden.
    Diese berühmten Partys wurden stets unten in der großen Küche veranstaltet, wo Glastüren zum von Kerzen erhellten Garten hinausgingen. Valerie engagierte viele Helfer, die das Essen seit dem frühen Morgen vorbereiteten, denn manchmal saßen dreißig Gäste am Tisch und tranken Champagner und teuren Wein. In London gab es Legionen von reicheren Leuten, aber kaum jemand war auf so elegante Art extravagant oder imstande, so angesagte Leute um seinen Tisch zu versammeln. Für manche Londoner war es förmlich furchterregend, zu einem ihrer Dinner eingeladen zu werden - sie kamen dann herein, als würde ihnen das Rigorosum der Doktorarbeit bevorstehen -, und andere waren tief enttäuscht, wenn sie nicht auf der Gästeliste standen.
    Henry und Valerie hatten sich gütlich scheiden lassen. Sie waren so vernünftig gewesen, wie es reiche Menschen in solchen Fällen sein können, manchmal jedenfalls. Die Sache ging ohne Anwälte und Prozess über die Bühne. Man hatte den Eindruck, als wüssten beide, dass sich die Ehe in eine Freundschaft verwandeln würde. Valerie langweilte Henry zwar, und sie meckerte und schimpfte, aber seinen guten Namen beschmutzte sie nie, und sie riskierte es auch nicht, ihn zu vergraulen. Solange er abnahm, wenn sie anrief, war es ihr egal, was er trieb. Eines betrüblichen Tages würde sie seine Beerdigung organisieren und beim Gedenkgottesdienst als Erste das Wort ergreifen. Dann würde sie ihn wieder als ihren Mann beanspruchen. Bis dahin würde sie darauf bestehen, neben ihm her zu leben, ob es ihm oder seinen Geliebten passte oder nicht. Sie besuchte alle Vorpremieren der von ihm inszenierten Stücke, unterhielt sich mit seinen Freunden und behielt sein Liebesleben im Auge, das nach ihrer Überzeugung so unbefriedigend für ihn bleiben würde, wie es immer schon gewesen war. Immerhin hatte sie ihm geholfen, sein Talent zu formen und zu erweitern, hatte ihn gedrängt, sich in der Gesellschaft zu bewegen, und ihm gesagt, mit seiner Begabung könne er in London treffen, wen er wolle - und wen sie wolle. Er war das Ticket, das ihr zur gesellschaftlichen Mobilität der Schönen verhalf. Früher war er ein langhaariger, schmuddeliger, antibürgerlicher, schüchtern-zorniger Junge gewesen, und sie hatte ihn in jemanden verwandelt, der gesellig war und ein Landhaus mit Swimmingpool besaß, wo Freunde zu Besuch kamen. Sie hatte dafür gesorgt, dass er in Paris, New York und Australien arbeitete, Termine einhielt und zu Interviews, Rundfunk- und Fernsehsendungen erschien.
    Im Laufe der Ehe hatte er Affären gehabt - meist emotionaler Art -, und schließlich hatte er sie verlassen. Das hatte ihr wehgetan, doch sie nahm seinen Hass gelassen hin, weil sie wusste, dass dieser am Ende nicht viel Gewicht hätte. Sie musste einfach nur dranbleiben. Wenn er ihre Anrufe nicht beantworten wollte - vielleicht war er ja in den Flitterwochen -, wartete sie, bis er wieder zurück war. Wenn er Hunger hatte, ging er zum Essen zu ihr; wenn er einen Rat oder eine Meinung brauchte, fragte er sie; und natürlich hatten sie die Kinder.
    Henry wusste, wie froh Valerie war, als Sam wieder bei ihr einzog, vor allem, da Lisa, die Tochter, immer zickig und trotzig gewesen war und ihre Eltern für ihren Reichtum, ihre Privilegien und ihre soziale Unbeschwertheit verachtet hatte. Lisa hatte immer behauptet, dass sie nur reiche Leute kennen würden, von den zahlreichen Angestellten einmal abgesehen: Putzfrauen, Bauhandwerker, Gärtner, Kindermädchen, Au-pair-Mädchen. Als Sozialarbeiterin hatte Lisa die Welt der Unterschicht kennengelernt und identifizierte sich damit; sie weigerte sich, Geld von ihrer Mutter anzunehmen, und sah sie kaum. Einmal hatte sie die Sozialarbeit aufgegeben, um in kleinen Hotels und Bed-and-Breakfasts als Putzfrau zu arbeiten, wurde aber gefeuert, weil sie sich über die Löhne und Arbeitsbedingungen beschwerte und versuchte, die Angestellten gewerkschaftlich zu organisieren.
    Lisa hatte all ihren Ehrgeiz in den Versuch gesteckt, auf der sozialen Leiter abzusteigen, arm zu sein - das Einzige, was niemandem aus ihrer Familie je in den Sinn gekommen war. Anders als die echten Armen konnte sie aber im

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