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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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wollte, und das wollte ich nicht -, dass ich immer wieder die gleichen Seiten las.
    Mein schizophrener Onkel war oft meine einzige Gesellschaft. Er saß am Kopfende des Tisches und brabbelte vor sich hin, oft amüsant und in einem Redefluss á la Joyce. Die Bedeutung dessen, was er erzählte, blieb zwar rätselhaft, aber ich mochte ihn gern und wollte ihn näher kennenlernen. Aber ich kam nicht an ihn heran; ich war schon so dicht an ihm dran, wie es überhaupt möglich war.
    Als ich mich in meiner täglichen Routine einrichtete und die mittelalterlichen Pergamentseiten alter Bücher umblätterte, bemerkte ich eine Bewegung vor der Tür. Ich sagte nichts, konnte aber Najma erkennen, meine jüngste Cousine, die mich beobachtete. Sie wartete lächelnd, bis ich fertig war, und verbarg jedes Mal ihr Gesicht, wenn ich ihr einen Blick zuwarf. Ich hatte als Kind mit ihr in London gespielt. Wir hatten uns mindestens einmal im Jahr gesehen und spürten, dass uns etwas verband.
    »Bring mich ins Hotel, bitte«, sagte sie. »Heute Abend.«
    Ich war verrückt vor Erregung. Der Trottel bekam eben auch seine Chance.
    Die heterosexuelle Episode, die sich hier anzubahnen schien, erstaunte mich, obwohl mir bewusst war, dass muslimische Gesellschaften vor Sinnlichkeit knisterten: Die Frauen etwa, die gemeinsam in einem Zimmer schliefen, liebkosten einander ständig und streichelten sich gegenseitig das Haar, die Jungen hielten stets Händchen, tanzten und kicherten in irgendeinem Schlafzimmer und spielten auf homoerotische Art miteinander. Oft war die Rede von der Lüsternheit der alten Männer, besonders der Koranlehrer, und davon, dass man in ihrer Gegenwart gut auf seinen Arsch aufpassen müsse. Natürlich waren viele meiner Lieblingsschriftsteller in muslimische Länder gereist, um dort Sex zu haben. Ich erinnerte mich an Flauberts Briefe aus Ägypten. »Diese rasierten Mö sen boten einen eigentümlichen Anblick - das Fleisch so hart wie Bronze, und mein Mädchen hatte einen großartigen Hintern.« »In Esna gab es einen Tag, an dem ich fünfmal abspritzte und dreimal blies.« Und was die Jungen betraf: »Wir hielten es für unsere Pflicht, uns in dieser Art der Ejakulation zu ergehen.«
    Ich wurde jungen Männern meines Alters vorgestellt und ging ein paar Mal mit ihnen aus, stand in buntgeschmückten Kebabund Hamburgerläden herum und unterhielt mich über Mädchen. Doch anders als diese Jungen machte ich mir nach der Sache mit Ajita keine großen Hoffnungen mehr. Ich fand sie zu jung, fühlte mich fremd und wusste nicht, wohin ich nun gehörte, wenn überhaupt irgendwohin. Ich musste mir einen eigenen Ort schaffen. Oder jemanden finden, mit dem ich reden konnte.
    Najma brauchte drei Stunden, um sich schön zu machen. So lange hatte ich noch nie auf ein Mädchen gewartet, und ich hoffe inständig, nie mehr so lange warten zu müssen. Leider erinnerte mich auch dies an Ajita, die immer zu spät zu den Vorlesungen erschien und dies mit der grandiosen Ausrede begründete, sie wolle nicht, dass der Dozent sie mit wirren Haaren sehe.
    Najma erschien in flammenden Farben. Sie trug einen glitzernden Salwar Kameez mit Goldstickereien, silberne Armreife an den Handgelenken, und ihre Handrücken waren mit braunen Schriftzeichen verziert. Ihr Haar kam mir vor wie ein hin und her schwingender schwarzer Teppich, und das Make-up, das sie aufgelegt hatte, kannte ich in dieser Fülle nur von einem Junkie-Transvestiten, einem Freund Miriams. Eigentlich hatte Najma so viel Schminke gar nicht nötig, denn sie war jung, und ihre Haut glich der Oberfläche einer Tasse guten Kaffees.
    Ich ging davon aus, dass wir zum Ficken ins Hotel fuhren. Ich glaubte, Najma hätte nichts Besseres zu tun. Mir war nicht klar, dass die Hotels die schicksten Orte in Karatschi waren und von angehenden Brautpaaren aufgesucht wurden. Die radikalen Muslime drohten immer damit, diese Hotels in die Luft zu jagen - was sie gelegentlich auch taten -, aber da es in der Stadt keine Bars und nur wenige Restaurants gab, konnte man, von den Privathäusern abgesehen, nirgendwo anders hin.
    Als ich dort in meinem abgerissenen schwarzen Anzug saß - ich konnte mich durch ein Loch in der Arschritze kratzen - und nichts stärkeres als einen salzigen Lassi trank, dachte ich vor allem mit Sorge an die Höhe der Rechnung und fühlte mich genauso fehl am Platz wie auf der Straße. Doch auf der Heimfahrt im Auto fragte sie mich, ob sie mir einen blasen solle. Ich hielt das für eine

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