Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
ihn zu erfahren. Ich wusste wenig über sein Liebesleben, falls er überhaupt eines hatte. Ich hielt das für eher unwahrscheinlich, denn er hatte ja seine Routine, seine Sorgen und seine Bücher.
    Immerhin gab es seine zweite Frau, die eine Frauenzeitschrift herausgab. Miriam und ich besuchten sie in ihrem Büro. Sie war sehr abgeklärt, höflich, neugierig und intelligent. Sie war klein, hatte feine Gesichtszüge und sprach ein Oberschicht-Englisch mit jener schwungvollen, indischen Sprachmelodie, die ich seit meiner Begegnung mit Ajita so gern mochte. Ich merkte, dass Miriam auf sie abfuhr. Doch sie ließ sich nicht emotional auf uns ein. Sie sprach weder von Papa noch von unserem Leben ohne ihn. Miriam rief noch ein paar Mal bei ihr an, bekam jedoch immer nur zu hören, dass sie nicht da sei.
    Danach ging die Sache den Bach hinunter. Einmal wartete Najma wie immer draußen vor der Tür, während ich in der Bibliothek saß. Ich ging zu ihr, sah mich nach ungebetenen Zuschauern um, küsste ihre glänzenden Lippen und begann, sie zu berühren, doch sie war abweisend und stieß mich fort. Anschließend schwieg sie eine Weile, um mir klarzumachen, dass sie tief verletzt sei, und begann mich dann auf Urdu zu verfluchen. Schließlich kam ihr Vater dazu, rasend vor Zorn. Sie debattierten lange auf Urdu. Ich ergriff die Flucht. Alles begann zusammenzubrechen.
    Wie sich herausstellte, war Najma zu Miriam gegangen und hatte ihr alles erzählt: Wir liebten einander, wollten heiraten und in einem Mercedes - oder war es ein Jaguar? - nach London, New York oder Hollywood fahren.
    Miriam steckte ihr, dass sie das vergessen könne. Jamal werde niemanden heiraten. Er sei nicht einmal mehr ein Student. Er habe zwar seinen Abschluss, natürlich, aber den habe in London jeder Idiot und Halbirre. Den Jaguar solle sie besser abhaken, denn vielleicht könne ich fahren, habe aber noch keinen Führerschein, und in England würde man mich gar nicht auf die Straße lassen. »Wenn er wirklich heiraten will«, beschloss sie ihre Worte, »dann hat er mir nichts davon erzählt, und er erzählt mir alles, weil er sonst nämlich eins auf den Deckel bekommt.«
    Ich hätte Miriam am liebsten den Kopf abgerissen. Warum hatte sie das getan? Weil sie das Mädchen möge, erwiderte sie, und nicht wolle, dass sie auf meine Lügen und dummen Geschichten hereinfalle.
    Und sie? Was tat sie selbst?
    Man setzte voraus, dass ich Papa tagsüber begleitete - und ich lernte viel dabei -, und man setzte ebenso voraus, dass Miriam mit den anderen Frauen im Haus blieb. Dort sollten sie über »Frauensachen« reden. Doch Miriam hatte offenbar die Nase voll davon, ihre Zeit mit den Frauen zu verbringen. Stattdessen fuhr sie in Onkel Yasirs Auto durch die Gegend, oft genug ohne Kopftuch. Auf die Frage, wo sie gewesen sei, antwortete sie: »Sehenswürdigkeiten anschauen.« Mir schwante schon, worin diese Sehenswürdigkeit bestanden, als sie mir erzählte, dass sie in Karatschi am liebsten zum Strand fahre, wo sie sich unter eine Palme bette, eine Kokosnuss spalte und diese mit einer halben Flasche Gin fülle. Meist betrachtete sie Sehenswürdigkeiten, wenn sie in den Armen des Verlobten einer unserer Cousinen lag. Er war Pilot und Besitzer einer Strandhütte. Seine Heirat mit unserer Cousine sollte später im Jahr stattfinden, aber die Gelegenheit, sich mit einer ihrer Verwandten näher vertraut zu machen, ließ er nicht ungenutzt verstreichen. Er hatte sich mit Miriam auch in einem Zimmer jenes Hotels getroffen, das ich mit Najma besucht hatte, denn er kannte den Manager.
    Doch die beiden waren gesehen worden. Wenn in Karatschi irgendetwas rasch die Runde machte, dann Gerüchte. Der Pilot war davon ausgegangen, dass englische Mädchen willig seien, und seine Begegnung mit Miriam bestätigte diese Theorie voll und ganz. Ich hatte mich schon gefragt, von wem sie so viele Details über das Land erfahren hatte. Unsere Cousine rastete natürlich aus und drohte, Miriam zu erdolchen. Miriam war in der Unterzahl, und ich weigerte mich, ihr beizustehen.
    Miriam hatte geglaubt, wir könnten eine Weile in Pakistan leben, einen Job bekommen, ein bisschen Geld sparen, auf dem Strand abhängen, mit Hasch dealen und so weiter. Aber schon nach einem Monat zeigte sich, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war. Wir waren zu fremd und passten einfach nicht in diese Gesellschaft. Hier gab es zwar amerikanische und britische Ehefrauen, doch sie hatten sich assimiliert, trugen die

Weitere Kostenlose Bücher