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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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adretten Gärten dort draußen in der Kälte wirkten ruhig, ordentlich, hübsch. Wir sagten nichts, hassten alles und hatten beide Wut in den Augen. Dies war unser Land, und hier mussten wir leben. Wir hatten nur die Wahl, unser Leben fortzusetzen - oder nicht. In der Victoria Station trennten wir uns ohne ein Wort. Ich kehrte nach Hause zu Mum zurück, und Miriam wollte zu jemandem, der in North Kensington in einer Sozialwohnung lebte.
    Ich wusste, dass ich einen Job brauchte, egal, was mir noch bevorstand. Zum Glück hatte ich an der Universität einen Freund, der in der British Library arbeitete, und er meinte, er könne mir dort etwas besorgen.
    Wenn ich jemanden nie mehr wiederzusehen glaubte, dann Najma. Aber zwei Jahre später tauchte sie in England auf und erkundigte sich telefonisch bei meiner Mutter nach mir. Einen Moment lang glaubte ich in meiner Verwirrung und wegen der unklaren Ausdrucksweise meiner Mutter - »eine Inderin hat angerufen« -, es wäre Ajita gewesen, und ich begann vor Erleichterung zu weinen; sie hatte mich nicht vergessen; sie kehrte zurück.
    Najma hatte einen Pakistaner geheiratet, der nach England gekommen war, um Ingenieurswesen zu studieren, und das Paar lebte mit Zwillingen in Watford. Dort besuchte ich sie einige Male. Ein Kind litt an Fieber, das andere war offenbar geistig zurückgeblieben. Das Paar war rassistisch beschimpft worden, kannte niemanden, und der Mann war den ganzen Tag außer Haus. Najma kochte für mich. Sie wusste, wie sehr ich ihr Essen mochte, und wenn wir keusch beisammen saßen, zählte sie alles auf, was sie »an ihrer Heimat« vermisste. In der Fremde gestrandet, verfluchte sie den Westen zwar nach wie vor für seine Unmoral, warf ihm aber zugleich vor, ihrer Familie nicht rasch genug den Wohlstand zu verschaffen, von dem sie immer geträumt hatte. Ich lud ihren Mann auf einen Drink ein und musste mir seine Klagen über die sündhaft teuren britischen Prostituierten anhören.
    Ich konnte nur erwidern, dass sich England als wesentlich kostspieliger erweisen könnte, als er geglaubt habe.
    SIEBZEHN
    Henry hatte Ärger am Hacken, und dieser Ärger schlug Wellen und drohte, uns alle zu überschwappen.
    Ich hatte eine Nachricht von seiner Tochter Lisa auf meinem Anrufbeantworter. Schon bald waren es zwei Nachrichten. Sie wolle sich zwar nicht mit mir treffen - aber sie müsse sich mit mir treffen. Da sie genauso dickköpfig wie der Rest ihrer Familie war, erwartete sie, ihren Willen zu bekommen. Ich hatte eigentlich genug mit meinen Patienten und mit Rafi zu tun, lud sie aber aus naiver Neugier zum Tee ein. Ich hatte gern Henrys Berichten über ihre Abenteuer gelauscht, und im Laufe der Jahre war ich ihr immer wieder durch Zufall begegnet, meist, wenn sie mit ihrem Bruder auf Achse gewesen war. Als Kind war sie stets von Künstlern und Politikern umgeben gewesen, hatte 1986 vor dem Gebäude der Sunday Times in Wapping Streikposten gespielt und ihre Wochenenden stets auf dem Greenham Common verbracht. Sie hatte eine teure Schulausbildung erhalten, bevor sie dann an der Universität von Sussex Soziologie studierte.
    Doch was konnte sie bei einer solchen Herkunft anderes tun, als ihr Studium kurz vor dem Examen abzubrechen und auf einem Baum zu leben, der einer geplanten Autobahnstrecke weichen sollte? Henry konnte wenig dagegen sagen, denn hatte er sie nicht mitgenommen, als er damals mit E. P.Thompson und Bruce Kent gegen Atomwaffen demonstriert hatte? Als Lisa von dem Baum herunterkam, ging Henry trotzdem davon aus, dass sie wieder ein »normales« Leben führen würde. Er oder Valerie würden einen ihrer Freunde anrufen, und Lisas Karriere würde beginnen.
    Doch sie wurde Sozialarbeiterin auf der untersten sozialen Stufe, besuchte auf ihrem Fahrrad verrückte alte Säufer und Säuferinnen und weigerte sich, die Menschen »einzustufen«, weil dies eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie bedeutet hätte. Sie zog von zu Hause in eine Sozialbausiedlung für drogenabhängige, alleinerziehende Mütter. Ihre Wohnung, mit weitem Blick auf den Richmond Park, befand sich im obersten Stock, und sie nahm massenweise Palästinenser und Flüchtlinge bei sich auf. Bei anderen Gelegenheiten bewarf sie Filialen von McDonald's mit Farbe oder durchforstete Läden nach Pornographie und stopfte ganze Beutel mit dem Zeug voll. »Ich kann nur hoffen, dass es den Arbeitslosen zugute kommt«, murmelte Henry.
    Solche Taten galten sogar unter jungen Bohémiens, für die

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