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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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das Geschick und die Bildung, eine einfache Rechtsurkunde aufzusetzen, sagen wir ein auf dem Totenbett verfaßtes Testament – einen Letzten Willen, in dem der Don seine Absichten für die Verteilung seiner irdischen Güter zum Ausdruck bringt?«
    Ruggiero starrte ihn an.
    »Habt Ihr Eure Zunge verloren?« fragte Tannhäuser.
    »Ja, ich könnte eine solche Urkunde aufsetzen.«
    »Und wäre sie rechtskräftig? Würde sie einer Prüfung durch die Rechtsanwälte der Kirche standhalten?«
    »Das kann ich nicht sagen. Zumindest würde ich einen Zeugen brauchen, einen Herren von gutem Ruf.«
    »Der steht vor Euch.«
    Ruggiero rutschte in seinem Sessel hin und her. »Dann würde ich sagen, daß eine solche Urkunde zumindest gute Aussichten hätte, juristisch anerkannt zu werden, je nach dem Geschick der Advokaten.«
    »Dieses Hindernis bedenken wir später.« Tannhäuser schwenkte die Taufurkunde in seiner Hand. »Nachdem Ihr dieses Dokument wieder in Händen hattet, war die Drohung des Priesters nicht mehr wirksam. Warum habt Ihr es so sorgfältig aufbewahrt?«
    »Ich hoffte, daß Contessa Carla eines Tages zurückkehren würde.«
    »Ihr habt nie daran gedacht, ihr zu schreiben?«
    »Oft.« Ruggiero sank unter Tannhäusers Blick in sich zusammen. »Ich hatte zuviel Angst, den Skandal wieder aufzurühren, ich fürchtete Don Ignacios Zorn.«
    Tannhäuser erinnerte sich an die Kreatur, die unten neben dem Kamin verrottete. »Das nehme ich Euch nicht übel«, sagte er. »Jedenfalls ist Carla hier. In Birgu.«
    Ruggiero sprang auf, als wäre sie soeben persönlich ins Zimmer getreten.
    »Sie steht in Eurer Schuld«, sagte Tannhäuser. »Genau wie ich. Nun.«
    Er zog sein Perlmuttkästchen aus der Tasche. Er klappte den Deckel auf und schüttete zwei von Grubenius’ Pillen auf seine Handfläche. Sie glitzerten ölig und goldgesprenkelt im Licht der Lampe. Ruggiero schaute sie an.
    »Diese Steine sind die kraftvollste Arznei, die die Menschheit kennt. Opium, die Essenz des Goldes und Zutaten, die nur den Weisen bekannt sind. Sie lindern Schmerzen und besänftigen selbst den gequältesten Geist. Wenn man sie jedoch im Übermaß genießt, sind sie auch für die stärksten Naturen tödlich. Wenn ein Mann krank oder gebrechlich ist und unerträgliche Schmerzen erleidet, dann bringen diese Steine ihm Hilfe. Und wer würde den Sterbenswunsch eines solchen Mannes mißachten – insbesondere wenn dieser Wunsch lautet, sein gesamtes Vermögen seiner geliebten Tochter zu vermachen?«
    Ruggiero begriff die Gerechtigkeit dieses Plans. Alte Treue stirbt jedoch langsam. Er antwortete nicht.
    »Würdet Ihr einen solchen Wunsch in Frage stellen?« wiederholte Tannhäuser.
    Ruggiero antwortete: »Nein.«
    »Gut«, meinte Tannhäuser. »Dann holt Feder und Papier.« Er steckte die Taufurkunde in die Tasche. Er freute sich auf Carlas Gesicht, wenn sie das Dokument lesen würde. »Später«, sagte er, »könnt Ihr einen Priester für Don Ignacio holen. Eine Seele, die so schwarz ist wie die seine, braucht alle Sakramente, welche die Kirche nur zu bieten hat.«

S AMSTAG , 9. J UNI 1565
Am Galgenpunkt
    Der Mond war untergegangen. Sie bewegten sich im Licht der Sterne in den Fußstapfen ihres maltesischen Führers. Sie hatten das Geschirr ihrer Pferde mit Tüchern umwickelt und führten die Tiere zu Fuß über Schafspfade und trügerische Pässe. Am Himmel über dem Felsgrat wies ihnen der Schweif des Steinbocks den Weg nach Süden. Sie stiegen vom hohen Geländer herunter und wandten sich nach Osten, folgten dem Auge der Gorgonen zur Küste. Sie begegneten keiner türkischen Patrouille. Niemand sprach ein einziges Wort. Es war seltsam, überlegte Tannhäuser, in der Gesellschaft dieser Mordgesellen zu sein, deren Namen er nicht kannte, besonders bei Nacht. Der schwere Goldreif an seinem Handgelenk beruhigte ihn: Nicht für Reichtümer, sondern um meine Seele zu retten . Auch die von dem Priester ausgestellte Taufurkunde in seiner Tasche erfüllte ihn mit Freude. In der kühlen Nachtluft vor der Morgendämmerung führte er fünfunddreißig Ritter unter ihrem Befehlshaber Chevalier de Lugny auf den Grat des Monte San Salvatore, hielt dann inne und nahm den Anblick in sich auf, der sich ihnen bot.
    Ein dünner Nebelschleier lag über dem Tiefland. Darunter glimmten in weniger als einer Meile Entfernung die schwache rote Glut der Lagerfeuer am Galgenpunkt. Ein einziges helleres Feuer markierte die Grenze, und Tannhäuser stellte sich vor, wie sich die

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