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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Elmo – oder in Birgu, ja?«
    Angesichts der Freude des Jungen beschlich Tannhäuser eine unerwartete Traurigkeit. »Daran hege ich keinen Zweifel«, sagte er, »daß dein Vater ein wirklich außergewöhnlicher Mann war.«
    »Dann fließt in mir adeliges Blut?« fragte Orlandu.
    »Wenn du es so sehen willst«, antwortete Tannhäuser. »Diejenigen, die sich dessen rühmen, behaupten, es sei mehr wert als Tugend. Doch meiner Meinung nach hat das Blut allein sehr wenig – wenn nicht gar nichts – mit alledem zu tun. Jesus und seine Jünger waren bescheidene Männer, genau wie Paracelsus und Leonardo und die meisten Männer, die sich in allen Zeiten als Genies gezeigt haben. Mehr als einer von den übelsten Schurken darf von sich behaupten, adelig zu sein. Eine Überlegenheit im Denken und im Charakter – wenn das dein Ideal von Adel ist – fließt nicht in den Adern, sondern sie kommt daher, wie wir unser Leben führen.«
    Orlandu zögerte, als kämpfte er gegen einen Gedanken an, vondem er wußte, wie töricht er war. Schließlich platzte er heraus: »Ihr seid nicht mein Vater?«
    Tannhäuser lächelte, und wieder war er gerührt. »Nein, das bin ich nicht, wenn es mich auch mehr als stolz machen würde. Falls uns das Glück jedoch hold ist, könnte sich eine ähnliche Beziehung entwickeln.«
    Diese Worte waren für den Jungen zu rätselhaft. Tannhäuser erklärte sie auch nicht weiter.
    »Warum ist er dann nicht stolz auf mich?«
    »Wer?«
    »Mein Vater.«
    »Er weiß vermutlich nicht, daß es dich gibt. Deine Mutter hat es ihm nicht erzählt, um seine Ehre zu schützen.« Bevor der Junge etwas erwidern konnte, fügte Tannhäuser hinzu: »Denke nicht schlecht von der Contessa, weil sie dich verlassen hat. Sie wollte das nicht. Mächtige Männer haben ihr keine andere Wahl gelassen und sie überaus grausam behandelt, als sie kaum älter war als du jetzt.«
    Orlandu nickte mit ernster Miene.
    »Deine Mutter ist weit gereist und hat viele Gefahren auf sich genommen, um dich wiederzufinden. Ich weiß, daß du immer in ihrem Herzen bist.«
    Orlandu zwinkerte zweimal, und Tannhäuser fragte sich, ob dies der richtige Augenblick war, um ihn zum Gehen zu überreden. Wenn er es recht bedachte, war er ein Narr gewesen, daß er den Jungen nicht früher über sein Schicksal aufgeklärt hatte. Dann würden sie vielleicht nicht mehr hier sitzen, sondern das Segel auf seinem Boot hissen, aber nun war es besser, Orlandu würde selbst auf den Gedanken kommen, von hier wegzugehen.
    Tannhäuser sagte: »Adeliger oder Hufschmied, wir müssen alle unser eigenes Schicksal leben und begreifen, so gut wir können.« Er stand auf. »Übrigens habe ich hier noch sehr viel zu tun. Wenn du magst, kann ich einen guten Helfer gebrauchen.«
    Sie verbrachten den Tag damit, Rüstungen wieder in Ordnung zubringen. Für beide war dies der glücklichste Tag seit langer Zeit. Bei Sonnenuntergang ging Orlandu in die Kapelle, um die Messe mitzufeiern und für das Wissen um seine Herkunft Dank zu sagen. Tannhäuser brachte seine Reparaturen an einer verzogenen Armschiene zu Ende. Er trank reichlich Branntwein und schlief auf dem Strohsack auf dem Boden ein. Im erlöschenden Licht der Esse wachte er wieder auf und glaubte in einem erotischen Traum gefangen zu sein. Im Schatten stand Amparo vor ihm und schaute zu ihm herunter.
    Tannhäuser sprang auf die Beine und erwartete, daß die Erscheinung sich in Luft auflösen würde, doch Amparo war noch da.
    Sie war in einen zerlumpten purpurroten Waffenrock gehüllt, der mit einem Kreuz geschmückt war. Als er wahrnahm, daß ihr Haar naß war, begriff er, daß es kein Traum war, daß sie wirklich und wahrhaftig vor ihm stand. Ein weiter, feuchter Leinenumhang hüllte ihren Körper so ein, daß man ihre Brüste sehen konnte. Tannhäuser war sofort erregt. Ihre Augen funkelten im Schein der Glut, und ihr Gesicht war so verzückt, als wäre sie eine Mystikerin in Trance. Er fragte sich, wie lange sie schon dagestanden und ihn im Schlaf betrachtet hatte.
    Tannhäuser schaute sich in der Schmiede um. Sie waren allein. Er blickte zu ihrem Gesicht hinunter, und Fragen, sinnlose Fragen oder solche, für die er bereits die Antwort kannte, fuhren ihm durch den Kopf. Du bist über die Bucht geschwommen? Wer hat dich hierher zur Schmiede gebracht? Warum bist du gekommen? Er versuchte genug Zorn aufzubringen, um sie scharf zu tadeln, denn er brauchte in dieser Hölle wahrhaftig nicht zwei Menschen, die auf ihn angewiesen

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