Das Sakrament
sind, befinden sie sich in den Händen der Moslems.«
D ONNERSTAG , 5. J ULI 1565
An der Hafenmauer – Am Kalkara-Tor – Im Ehrwürdigen Rat
Amparo schlief an der Hafenmauer unter dem Sternenhimmel. Das Geräusch des Meeres tröstete sie. Es sang sie in den Schlaf und wiegte sie in Träumen von Tannhäusers Schmiede, von seinen Händen und Lippen auf ihrem Körper.
Über Tag pflegte sie den Heilkräutergarten von Pater Lazaro und fand eine Stelle, an der wilde Rosen wuchsen. Die Blütenknospen wurden für eine seiner vielen wunderbaren Salben mit Salbeiblüten, Myrte und Andorn zerrieben. Ansonsten mied Amparodie Gesellschaft der Menschen, so gut sie konnte. Sie verbrachte viele Stunden damit, Buraq zu pflegen, ritt ihn ohne Sattel und besänftigte ihn und sprach mit ihm, wenn die Kanonen donnerten.
Die Verlegung der türkischen Kanonen auf die Anhöhen von Corradino, der bevorstehende Angriff auf Birgu und L’Isla, die endlos wiederholten Erzählungen von Heldentaten, die Intrigen unter den Rittern, die Treulosigkeit des Vizekönigs, die unergründliche Boshaftigkeit der Türken – nichts von alldem berührte sie. Die Leute bildeten sich nur ein, daß diese Dinge wichtig seien, aber was Amparo noch mehr erstaunte: Sie glaubten auch, daß ihre Reden darüber wichtig waren und vielleicht etwas ändern könnten. Sie selbst fand dieses Geschwätz töricht. Die schwermütigen Versuche dieser Menschen, sie in ihr Leben hineinzuziehen, raubten ihr alle Energie und lähmten ihre Lebensgeister. Dieser Preis für menschliche Gesellschaft war ihr zu hoch. Es erschien ihr sinnlos, für etwas zu bezahlen, das sie gar nicht wollte. Menschen saugten ihr das Mark aus den Knochen. Amparo war es zufrieden, außerhalb ihrer Welt zu leben. Ihr eigenes Innenleben, ihre Gespräche mit den wilden Rosenknospen, Buraqs Zuneigung und Schönheit, all das brauchte sie viel nötiger, und doch sahen andere ihre Einsamkeit als eine Krankheit an, als hätten sie noch nicht genug eigene Sorgen. So blieb Amparo auf der Hut und bedauerte es nicht. Sollte man sie doch für einfältig halten, solange man sie nur in Ruhe ließ.
Amparo erwachte, als sie das Geräusch von Rudern hörte, und setzte sich auf. Ein milchweißer Nebel hing über dem Wasser, schien im zunehmenden Mond beinahe von innen zu leuchten. Sie schaute zu, wie die Langboote durch den Dunst kamen, eines nach dem anderen, und in Richtung der Kalkara-Bucht fuhren. Alle Boote waren bis auf die Ruderer leer. Sie glitten mit leiser Beharrlichkeit durch die nebelige Dunkelheit, die Ruderer waren gesichtslos und stumm, Händler der Leere, die niemanden nach nirgendwo brachten. Dann umschiffte das letzte Boot die Landspitze und verschmolz mit dem Dunst.
Fort waren sie und hatten kaum mehr Erinnerung in der Welt zurückgelassen, als sie selbst hinterlassen würde, überlegte Amparo. Der Gedanke tröstete sie. Nur außerhalb dieser Welt dauerten die Dinge ewig fort. Ihre Nacht mit Tannhäuser gehörte in eine solche andere Welt. Sie war und war nicht und würde doch immer sein. Allein Augenblicke der Schönheit erfreuten sich der Unsterblichkeit. Alles andere – all die großen Eitelkeiten, für die so viele schufteten und starben – konnte nicht einmal als Tagtraum durchgehen. Amparo legte sich wieder auf den Felsen zurück und hatte die Boote schon vergessen. Sie starrte zum sternenübersäten Firmament. Würden die Sterne auch eines Tages verschwinden? Sie müßte Tannhäuser danach fragen, wenn sie ihn das nächste Mal sah. Amparo wußte, daß sie sich wiedersehen würden. Irgendwie. Irgendwo.
Bors hatte sich freiwillig zur Nachtwache am Kalkara-Tor gemeldet. Seit die Contessa ihn dafür getadelt hatte, daß er sein Heil im Opium – zugegeben in viel zu großen Mengen – suchte, hatte er ganz darauf verzichtet und fand nun überhaupt keinen Schlaf mehr. Selbst Branntwein erwies sich nur mehr als schlechter Ersatz.
Ein heißer, feuchter Scirocco hatte von Tunesien einen Nebel herübergeweht. Zunächst bemerkte Bors nur, daß ein Konvoi dünn besetzter Langboote über die Bucht heranglitt und plötzlich zum anderen Ufer schwenkte, das über die Kalkara-Bucht hinweg nur etwa sechshundert Fuß weit entfernt war, aber im dichten Nebel verborgen lag.
Als nächstes kam eine Gruppe von Männern mit Fackeln die Straßen entlang, an ihrer Spitze La Valette. Bors überprüfte die Lunte seiner Muskete und blies auf die Kohle, bis sie hell glühte. Unter ihm öffnete sich knarrend die
Weitere Kostenlose Bücher