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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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ließ den Steigbügel los und blieb stehen. Auch Tannhäuser hielt an und schaute zu ihm hinunter. Schmerz und Wut zeichneten sich in den Augen des Jungen ab. Tannhäuser hatteleichthin gesprochen, ohne grausam sein zu wollen, aber Orlandu war noch zu jung, um das zu verstehen.
    »Hör zu«, fuhr Tannhäuser fort. »Du hast dich tapfer geschlagen, daß du sechs Wochen bei den Korsaren so gut überstanden hast. Ich bin stolz auf dich, so stolz, daß ich dich bitten möchte, mein Partner in einer wunderbaren Unternehmung zu werden.«
    Orlandus Miene hellte sich sogleich auf. »Euer Partner?«
    »Zunächst einmal eher mein Lehrling. Schließlich weißt du nichts vom Geschäft, aber mit Ausdauer könntest du in zehn Jahren ein wohlhabender junger Mann sein, einen Diamanten im Turban tragen und ein, zwei Schiffe unter deinem Befehl haben.«
    Plötzlich wurde Tannhäuser klar, daß er hochfliegende Behauptungen von sich gab – jedenfalls für einen Mann, der die abgelegte Kleidung eines anderen trug und auf einem geliehenen Pferd saß.
    Orlandu jedoch schien keine Zweifel an den Worten seines Retters zu hegen. »Ich muß einen Turban tragen?« fragte er.
    »Du wirst Türke, mein Freund.«
    »Ich hasse die Türken.«
    »Dann lerne sie lieben. Sie sind nicht schlechter als andere Menschen und besitzen in vielerlei Hinsicht gewisse Vorzüge.«
    »Die Türken sind hierhergekommen, um uns zu töten und uns unser Land wegzunehmen.«
    »Eine Angewohnheit, die sie mit vielen Stämmen und Völkern gemeinsam haben. Daß sie sich darin außerordentlich geschickt angestellt haben, sollte man ihnen nicht übelnehmen. Auch die Ordensritter sind als Besetzer hierhergekommen.«
    »Aber wir haben uns gegen die Türken gestellt«, sagte Orlandu. »Ihr habt doch auch gegen sie gekämpft.«
    »Zu meinen Lebzeiten schon für sie und gegen sie«, antwortete Tannhäuser. »Die Franzosen kämpfen gegen die Italiener, die Deutschen streiten sich untereinander, wie auch die Christen und Moslems es tun, und die Spanier kämpfen gegen jeden, den sie finden können. Kämpfen ist so eine Angewohnheit wie essen und schlafen. Du wirst noch herausfinden, daß es kaum Bedeutung hat, wer der Gegner im Kampf ist. Wie die Sache aussieht, sindwir beide im Augenblick ohnehin nicht in der Lage, uns mit den Türken anzulegen.«
    Orlandu verzog das Gesicht. Er fragte: »Und was ist mit Jesus?«
    »Bete Ihn an, wenn du willst. Die Türken fesseln dich dafür nicht auf einen Scheiterhaufen. Es hat durchaus Vorteile, wenn man sich zu Allah und Seinem Propheten, möge der Friede mit Ihm sein, bekennt, selbst wenn dieses Bekenntnis nicht aufrichtig ist.«
    »Wie könnt Ihr vorgeben, an einen Gott zu glauben?«
    Tannhäuser lachte. »Während ich hier mit dir spreche, sitzen im Vatikan Kardinäle mit ihren roten Hüten auf dem Kopf und zweifeln an Seiner Existenz. Sie sind nur klug genug, es nicht laut auszusprechen.«
    »Wir werden auf ewig in der Hölle schmoren.«
    »Dann sind wir da bestimmt in bester Gesellschaft. Wenn du aber Gott wärst, würde es dir etwas ausmachen, bei welchem Namen oder auf welche Weise dich die Menschheit anbetet? Würdest du dich überhaupt darum scheren, was wir Menschen machen?«
    »Jesus liebt uns. Das weiß ich.«
    »Dann wird er uns auch einen kleinen Betrug verzeihen, der uns vor der Bastonade schützt. Nun müssen wir uns aber mit deiner gütigen Erlaubnis wieder auf den Weg machen. Es ziemt sich nicht, daß ein Mann meines Standes am Weg steht und mit seinem Sklaven theologische Fragen erörtert.«
    »Euer Sklave?«
    »Ganz gewiß, um dem äußeren Anschein Genüge zu tragen, und zweifellos bist du ein Sklave des Sultans, wie die meisten seiner Untertanen. Die Großwesire sind Sklaven. Der Aga der Janitscharen ist ein Sklave. Die mächtigsten Männer des Reiches sind Sklaven. Suleimans Sklaven. Nur die Türken sind im Reich frei geboren. Aber wie wir gerade festgestellt haben, ist dies nur eine Frage der Worte. In Europa bedeuten Herkunft und Geburt alles. Bei den Ottomanen kann dich dein eigenes Verdienst in den höchsten Rat von Stambul bringen. Piali selbst ist als Christ geboren worden. Man hat ihn als Säugling vor Belgrad auf einer Pflugschar gefunden, während Suleiman die Stadt belagerte.Heute ist er der größte Admiral des Reiches, wenn nicht der ganzen Welt. Es ist doch sicherlich besser, ein reicher Sklave als ein armer Mann zu sein, der nur dem Namen nach frei ist, Muscheln von den Bootskielen schabt und sich wie ein

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