Das Sakrament
legte sich in die Kissen zurück, dann merkte er, daß er die Musik immer noch hörte.
Alles krampfte sich in ihm zusammen. Tannhäuser befahl sich, zu seinem Traum zurückzukehren. Schließlich mußte er sich im Morgengrauen nach Tripolis einschiffen. Statt dessen erhob er sich aus den Kissen und zog seinen Kaftan über. Dann wanderte er wie unter einem Zauber in die Nacht hinaus.
Die Feuer der Nachtwachen flackerten überall auf der weiten, finsteren Ebene von Marsa. Tannhäuser stellte sich vor, wie die Janitscharen ihre Waffen in Ordnung brachten, wie sie nach altem Brauch Balladen von Heldentaten sangen. Mit einem Teil seiner Seele sehnte er sich danach, sich zu ihnen an das Feuer zu gesellen, die heilige Kameradschaft seiner Jugend noch einmal aufleben zu lassen. Seine Tätowierungen würden ihm ein freundliches Willkommen zusichern. Ein Viertel Opium würde ihre Verzweiflung über die Lage der Dinge lindern. Die Vergangenheit war vorbei, und das war auch besser so. Der goldene Faden der Melodie zog ihn an einen anderen Ort.
Die Musik lockte ihn zum Bergrand des Corradino. Von dort blickte Tannhäuser auf die Häfen der Christen herunter. Der Halbmond stand im Schützen, ein Mondstrahl durchschnitt das Wasser der Werftbucht. Er stellte sich vor, er säße am anderen Ende dieses Mondstrahles. Wo immer Carla saß, strich sie ihre Gambe mit der gleichen überschwenglichen Mischung aus Hoffnung undVerzweiflung, die ihn bereits im Rosengarten so bezaubert hatte. Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Amparo war seine Liebste. Und doch? Hatte er sich am Ende für die falsche Frau entschieden? Es überraschte ihn nicht, daß er es nicht gewagt hatte, Carla zu wählen. Sie hatte eine Macht, der er zu unterwerfen sich fürchtete.
Er hörte hinter sich Schritte im Staub und wandte sich um. Orlandu sah mit einer dringlichen Frage in den Augen zu ihm auf. Was er auf Tannhäusers Gesicht ausmachen konnte, lähmte ihm die Zunge. Tannhäuser lächelte. Vor seinem geistigen Auge sah er schon, wie die Galeere nach Tripolis ohne ihn aus der Bucht von Marsamxett auslief.
»Hörst du das, mein Junge?« fragte er.
Orlandu neigte den Kopf und nickte.
»Das ist deine Mutter.«
Orlandu starrte über die Bucht hinweg.
Tannhäuser sagte: »Sie spielt wie ein gefesselter Engel.«
Orlandu schaute ihn scharf an, als hätte er unfreiwillig ein Geheimnis verraten, das er eigentlich für sich behalten wollte. Tannhäuser betrachtete die weite, dunkle Ebene, welche die Stadt umgab.
»Es wird mich die Hölle kosten, sie aus diesen Fesseln zu befreien, aber der Teufel hat mir ja immer schon bereitwillig Kredit gegeben.«
D IENSTAG , 7. A UGUST 1565
Auf der Höhe von Santa Margherita – Auf der Straße nach Mdina – Auf dem Monte Salvatore
Die Dämmerung brach an. Als Tannhäuser zum Gebet aufstand, wurde ihm klar, warum Abbas in der Nacht zuvor in einer so finsteren Stimmung gewesen war. Ein furchtbarer Gestank lag überdem Lager. Dreißigtausend Männer bereiteten sich darauf vor, Allah ihr Leben zu opfern, und selbst die furchtlosesten unter ihnen mußten sich zuvor irgendwo erleichtern und ihre Notdurft verrichten.
Noch in der Dunkelheit hatten die Bataillone ihre Stellungen bezogen. Bis Tannhäuser seine kastanienbraune Stute abgeholt und über den Bergsattel zwischen dem Corradino und Santa Margherita geritten war, erschallte bereits die Sure der Eroberung über den benachbarten Berghöhen. Die Pauken und Schalmeien der Mehterane -Kapellen wurden angestimmt. Hornsignale bliesen zu einem zweifachen Angriff der Legionen des Großtürken. Admiral Piali befehligte den Sturm auf Birgu, Mustafa Pascha führte die Attacke auf L’Isla an.
Die Türken hegten die Absicht, beide Zitadellen einzunehmen, koste es, was es wolle. Also verbrachte Tannhäuser den ganzen Morgen auf dem Berggrat von Margherita, wo er sich, falls nötig, als Abbas’ Adjutant ausgeben wollte. Von hier aus beobachtete er das heldenhafte Schauspiel, das sich unter ihm entfaltete. Schließlich hatte es wenig Zweck, nach Birgu zu schleichen – wie es eigentlich sein Plan gewesen war, seit er das Lied der Contessa gehört hatte –, wenn die Türken ohnehin bereits über die Wälle hineinstürmten. Dann war es einfacher, den Berg hinunterzureiten und sich ihnen anzuschließen, in der Hoffnung, zumindest Amparo und Carla aus dem bevorstehenden Tumult zu retten. Und einen Tumult würde es geben. Nicht einmal Suleiman hatte es geschafft, die
Weitere Kostenlose Bücher