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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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hinweg, hing über dem Meer. Etwa hundert Schritte von Tannhäuser entfernt stand die Taverne »Zum Orakel«. Eine neugierige Menge von Schaulustigen hatte sich um die Türen versammelt. Tannhäuser blieb stehen. Jenseits der Menschenmenge erspähte er im schimmernden Licht der Fackeln ein paar stählerne Helme, die bewaffneten Männern gehörten. Stadtbüttel. Gaffende Menschenmengen sammelten sich gewöhnlich um ein Mißgeschick. Ein Mord in der Taverne? Bisher hatte es dank Bors dort nichts dergleichen gegeben.
    Dann hörte Tannhäuser einen Klageschrei.
    Angst flutete wie eine Welle durch seine Eingeweide. Im äußersten Schmerz, den dieser verhallende Schrei verkündete, klangen die meisten Menschen seltsam gleich.
    Und doch wußte Tannhäuser sofort, daß dieser Schrei von Sabato Svi kam.
    Er stieg ab und führte Buraq durch den Gang zwischen dem Krämerladen und der Seilerbahn. Hinter den Gebäuden am Kai lag ein Labyrinth von Werkstätten, Schuppen, Lagerhöfen und Ställen, durch das eine Unzahl verwinkelter Gassen führte, die kaum mehr als schulterbreit waren. Er suchte seinen Weg auf diesen dunklen, nur gelegentlich vom Mondlicht erhellten Pfaden. Buraq folgte ihm ruhig. Als er sich dem Hinterausgang des Lagerhauses näherte, vernahm Tannhäuser erneut einen Schrei, derhier noch durchdringender klang, voller Schrecken und Verzweiflung.
    Sabato Svi wurde gefoltert.
    Buraq spürte die Bestürzung seines Herrn und schnaubte voller Mitgefühl. Tannhäuser schluckte die Galle herunter, die ihm in den Hals gestiegen war. Er band sein Pferd an einen in die Wand eingelassenen Metallring, dann rollte er die Stulpen seiner Stiefel hoch, um Schenkel und Schritt zu schützen, und zog das Schwert. Er schlich sich zum Lagerhaus, dessen Dach sich als scharfer schwarzer Schatten vor dem Sternenhimmel abzeichnete. Ein Instinkt ließ Tannhäuser plötzlich innehalten. Er hatte einen Laut vernommen, dann einen heiseren Atemzug. Er beschattete seine Augen gegen das Licht der Sterne und paßte sie an die Dunkelheit an. Eine massige Gestalt lauerte im Finstern gegen die hellere Oberfläche einer Wand gedrückt. Tannhäuser trat einen Schritt näher. Der Geruch war unverkennbar. Er flüsterte.
    »Bors?«
    Die Gestalt bewegte sich wie ein Krebs seitwärts, beugte sich dann zu ihm hin. Eine Armbrust tauchte zwei Schritte von ihm entfernt auf, auf seine Brust gerichtet. Tannhäuser duckte sich, bereit zum Angriff, falls ihn seine Ahnung getäuscht hatte. Dann sah er Bors’ Gesicht. Der Engländer ließ die Armbrust auf die Hüfte sinken, daß sie zum Himmel zeigte. Seine grauen Züge wirkten abgehärmt. Er sprach mit leiser Stimme, konnte aber ein Zittern nicht unterdrücken.
    »Stadtbüttel. Zwei draußen, vier drinnen. Brustpanzer und Helme. Zwei Hakenbüchsen und Pistolen stehen drinnen.«
    »Kennen wir sie?«
    Bors schüttelte den Kopf. »Nicht aus unserer Gegend. Angeführt von dem mickerigen Inquisitor von der Couronne .«
    Tannhäuser war, als hörte er, wie sich die Räder drehten, die das Universum bewegen. Es war einer jener Augenblicke, in denen sich das gesamte, sorgsam errichtete Gebäude nur als auf Sand gebautes Bordell entpuppte. Wenn die Kompaßnadel zerbarst und alle Uhren stillstanden. Wenn die Zukunft, die man sich vorgestellthatte, und die Zukunft, die sich einem nun vor den Füßen wie ein Abgrund auftat, sich für immer voneinander trennten.
    Tannhäuser fragte: »Was wollen sie?«
    »Ich bin erst gegen Ende aus dem Keller gekommen. Sie suchen dich.«
    »Und Sabato?«
    »Er mußte unbedingt einen Streit vom Zaun brechen und hat sie grausam verspottet. Dann haben sie ihn niedergeschlagen. Der junge Gasparo hat das gar nicht gut aufgenommen.« Bors verzog den Mund. »Sie haben ihn erschossen.«
    Tannhäuser spürte, wie er unwillkürlich mit den Zähnen knirschte.
    »Ich habe mich bedeckt gehalten«, sagte Bors. »Als die Büttel die Taverne räumten, bin ich mit den anderen rausgegangen. Niemand hat mich verraten.«
    »Dana und die Mädchen?«
    »Habe ich bei Vito Cuorvo in Sicherheit gebracht, dann bin ich zurückgekommen.«
    Wieder gellte ein Schmerzensschrei herüber. Bors verzog erneut das Gesicht.
    »Wo sind die Schurken jetzt?« fragte Tannhäuser.
    »Sie haben das ganze Gebäude durchsucht und sich dann in der Taverne wieder zusammengefunden. Vom Hintereingang aus haben wir freie Bahn.«
    »Ist der Inquisitor einer von den vieren?«
    Bors nickte. »Drei Büttel, einer davon ein Hauptmann. Wir müssen

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