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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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darauf achten, nicht die beiden draußen zu alarmieren.«
    »Ein oder zwei Schreie werden sie dem armen Sabato zuschreiben, aber Schüsse können wir nicht zulassen.« Tannhäuser deutete auf die Armbrust. »Ist deine Hand ruhig?«
    »Wie ein Fels.«
    Bors legte sich die Armbrust in die Armbeuge und zog einen Kerzenstummel aus dem Wams. Er hakte eine kleine eiserne Dose vom Gürtel und schlug den durchlöcherten Deckel auf. Drinnen glühte ein Stück Holzkohle.
    »Ein Inquisitor und fünf Büttel«, überlegte Tannhäuser. »Damit überschreiten wir das Gesetz so weit, wie man nur kann.«
    Bors schien noch weiter zu erbleichen.
    »Wenn wir beide jetzt weglaufen«, meinte Tannhäuser, »werden sie uns wohl nicht über die Meerenge hinweg verfolgen.«
    »Wenn mir jemand geweissagt hätte, daß ich mal für einen Juden meinen ungewaschenen Hals riskiere, hätte ich ihm laut ins Gesicht gelacht.« Bors brachte ein Grinsen zustande.
    Tannhäuser schlug ihn mit der flachen Hand auf den Rücken. Bors zündete den Kerzenstummel an der Kohle an. Im Licht der Kerze schlichen sie sich ins »Orakel«.
    Im Inneren des Lagerhauses herrschte völlige Dunkelheit, und ohne die Kerze wären sie gewiß gestolpert. Tannhäuser bahnte sich einen Weg durch die Überreste ihrer Waren, bis er ein Bündel Speere fand, die mit Pikenspitzen bewehrt waren. Er schnitt die Schnur durch, mit der sie zusammengebunden waren, und wählte drei schlanke Speere aus, mannshohe Schäfte aus Eschenholz mit scharfen Spitzen. Er prüfte ihr Gleichgewicht in der Hand. Auf kurze Entfernung waren sie so tödlich wie eine Muskete und weitaus schneller.
    Als sie auf die Taverne im vorderen Teil des Gebäudes zuschlichen, fiel durch den türlosen Durchgang Lampenlicht auf den Boden. Ein Wortschwall war zu hören. Tannhäuser vernahm das Wort »Jude«, das wie eine Beleidigung ausgesprochen wurde. Sabato spuckte einen Fluch aus, der von Todespein gefärbt war. Dann versagte ihm die Stimme, und es war nur noch ein kehliges Gurgeln zu hören. Tannhäusers Eingeweide drehten sich ihm im Leibe um, und seine Beine fühlten sich so schwach an, daß er fürchtete, sie würden ihm den Dienst versagen. Es war lange her, aber er erinnerte sich daran, daß diese Reaktion ganz normal war. Er atmete tief durch, dann ebbte das Zittern ab. Bors löschte die Kerze aus und packte seine Armbrust. Tannhäuser schob sich in den Durchgang und spähte in den Schankraum.
    Dort sah er zwei Büttel und ihren Hauptmann, bewaffnet, wie Bors sie beschrieben hatte. Der Hauptmann stand plump mit indie Seiten gestemmten Armen da und betrachtete den Alkoven. Von dort kam Sabatos Stöhnen. Tannhäuser konnte weder Sabato noch den Priester erkennen. Einer der beiden Büttel stand inmitten der verlassenen Biertische, auf halbem Weg zur Tür. Er hatte seine Hakenbüchse geschultert, und die glimmende Lunte baumelte in seiner Hand. Der zweite Büttel lungerte auf einer Bank herum, hielt die Langbüchse zwischen den Knien und trank aus einem Krug. Tannhäuser schätzte, daß der erste etwa neun Schritte entfernt war, der zweite kaum mehr als fünf. Er trat zurück, machte mit dem Daumen eine Trinkbewegung und tippte dann Bors auf die Brust. Der Engländer blickte um den Balken herum und zog sich zurück. Er nickte Tannhäuser zu.
    Aus dem Alkoven tönte wieder die schrille Stimme. »Blut und Beschneidung! Wie viele gute Männer habt ihr mit euren giftigen Machenschaften und Lügen nicht schon an den Bettelstab gebracht! Wo ist dein Gold, Jude? Das Gold, das du uns gestohlen hast – uns, die wir dir so viel christliche Nächstenliebe erwiesen haben! Uns, die wir dir erlaubt haben, in unserer Mitte zu leben, als wärst du ein Mensch und nicht ein tollwütiger Hund! Welcher Satan hat dich in unser Land gebracht? Deine Höllenbrut hat Gott nicht eingeladen! Das Gold, Jude! Das Gold!«
    Tannhäuser wog einen Speer in der rechten Hand, hielt die beiden anderen in der linken. Er nickte Bors zu, machte dann zwei schnelle Schritte mitten in die Taverne. Während sein vorderer Fuß auf dem Boden landete und er seinen Arm am Kopf vorbeischwang, hörte er hinter sich das Schnappen der Armbrust, dann das Zischen und Knirschen des Bolzens.
    Der Büttel stöhnte auf, als der Speer ihn unterhalb seines Brustpanzers traf. Die Spitze bohrte sich noch zwei Fuß weiter durch seine Eingeweide und streckte ihn unter den Biertischen nieder, wo er zuckte und keuchte wie ein tödlich getroffenes Tier. Tannhäuser nahm einen

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