Das Sakrament
des Großmeisters beim Kastell St. Angelo.«
Amparo warf ihm die Arme um den Hals und küßte ihn aufden Mund. Carla spürte, wie ihre Wangen erröteten, während Mattias Amparo den Arm um die Taille legte und sie an sich zog. Carla mußte sich abwenden. Dann ließ er Amparo los, und das Mädchen trat einen Schritt zurück, ihrerseits errötend.
»Ich bin noch nie mit einem Kuß auf den Lippen in die Schlacht gezogen«, sagte er. »Das ist ein außerordentlich wunderbarer Gedanke.«
Carla unterdrückte ihren Kummer. Sie wußte nicht, wo sie hinsehen sollte.
»Zwei wären sogar noch besser«, meinte Mattias.
Carla schaute ihn an, und er lächelte. Ihre Wangen brannten noch heißer, und beinahe hätte ein störrischer Impuls sie wieder ablehnen lassen. Ihre Gedanken waren in Gefühle verstrickt, die sie nicht ergründen konnte. Sie zwang sich dazu, ihr Gesicht zu ihm zu heben, und Mattias neigte sich herunter und küßte sie auf den Mund, nicht mit der Heftigkeit, die sie erwartet und nach der sie sich gesehnt hatte, sondern mit einer Zärtlichkeit, die ihr die Sinne raubte. Der Augenblick der Berührung dehnte sich unendlich aus, und sie kniff die Augen zusammen, als ihr aus dem Nichts Tränen aufwallten. Sein Kuß schien bis tief in den Abgrund vorzudringen, in den sie als Frau vor so langer Zeit gestürzt war. Doch kaum hatte sein Mund den ihren bedeckt, da zog er sich auch schon wieder zurück. Sie hatte nur nippen dürfen an diesem köstlichen Vergnügen, das zu heftig war, als daß sie es hätte begreifen können. Sie wandte sich ab, um wieder Herrin ihrer Gefühle zu werden.
»Jetzt bin ich vor aller Gefahr geschützt«, sagte Tannhäuser.
Carla fuhr wieder zu ihm herum. »Bitte«, sagte sie, »versprecht mir, daß Ihr alle Vorsicht walten laßt.«
»Waghalsigkeit ist die Tugend der Jugend«, sagte er. »Und beide habe ich weit hinter mir gelassen.«
Sie begleiteten ihn durch die Herberge und blieben auf der Schwelle zur Majistral-Straße stehen. Zwei griesgrämig dreinschauende Feldwebel kamen vorbei, die zwischen sich einen seltsamen,uralten Mann schleiften, dessen Augen ungewöhnlich hell in seinem Mondgesicht leuchteten. Die Hände waren ihm fest auf den Rücken gebunden, und während Carla sich überlegte, was er wohl verbrochen haben mochte, sah sie einen finsteren Ausdruck auf Tannhäusers Gesicht aufflackern.
»Die Erde ruft diesen alten Mann«, sagte er. Der Ausdruck war Carla nicht bekannt, aber Mattias führte ihn nicht weiter aus. Er fuhr fort: »Ich mache mich jetzt am besten auf zur Festungsmauer.«
»Ich bete für Euch«, sagte Carla. »Auch wenn Ihr Gott nicht fürchtet.«
»Ich heiße alle Gebete willkommen, die für mich gesprochen werden, ganz gleich, welcher Gott sie hört.«
Tannhäuser warf ihnen beiden einen letzten Blick zu und machte sich auf. Hinter ihm erspähte sie auf der Straße den alten Mann, der mit hüpfenden Schritten wild zwischen den unnachgiebig schreitenden Wachen hin und her sprang. Der Alte warf den Kopf zurück und schickte ein trauerndes Heulen zum Himmel. Plötzlich wurde Carla klar, daß sie in all dem Tumult seit ihrer Ankunft Hunde weder gehört noch gesehen hatte. Wie seltsam, dachte sie. Ein Feldwebel knuffte den Alten mit der Faust, und die drei verschwanden um die Ecke.
Mattias folgte ihnen, und obwohl Carla es von ganzem Herzen herbeiwünschte, drehte er sich nicht noch einmal zu ihr um.
Carla machte auf der Schwelle kehrt und sah Amparo mit genauso traurigem Gesicht dastehen. Carla schloß sie in die Arme, und sie hielten einander eng umschlungen. Sie spürte Amparos Herzschlag. Angst um Mattias krampfte ihr den Magen zusammen. Vielleicht war sie im Begriff, sich zu verlieben. Sie schaute zu Amparo und überlegte, ob das Mädchen sich vielleicht genauso fühlte. Ihr Instinkt bestätigte ihr diese Vermutung. Nein, mehr als ihr Instinkt: Es stand Amparo auf das schiefe Gesicht geschrieben. Wenn es so war, sagte sich Carla, dann mußte es Gottes Wille sein, und Gott hatte Seine Gründe. Sie beschloß, alles hinzunehmen, was Er fügte. Eine Weisheit, die so tief war, daß sie nur von Christus stammen konnte, bemächtigte sich ihrer. In denTagen, die kommen würden, konnte es gar nicht zuviel Liebe geben, welcher Art sie auch sein mochte. Ohne Liebe wären sie nichts. Schlimmer als das: Sie wären für immer verdammt.
M ONTAG , 21. M AI 1565
Auf der Bastion von Kastilien – Auf der Bastion von Italien – Auf der Bastion der Provence
Stundenlang
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