Das Sakrament
spähte Orlandu von den hohen Festungsmauern herab, während ein Wirbel von rotem Staub sich über dem Horizont im Süden erhob und schließlich daraus die Legionen des Sultans Suleiman auftauchten. Die moslemischen Horden versammelten sich in den Bergen jenseits der Großen Ebene, und dieses Schauspiel war so großartig und so kühn, daß einige der Ritter, die es mit ansahen, ohne Scham weinten.
Orlandu hatte sich in Anerkennung der Wunden, die er sich bei der Jagd auf die Hunde zugezogen hatte, einen vielbegehrten Platz auf der Bastion von Kastilien ergattert, die auf der linken Seite der Umwallung am unteren Ende der Bucht von Kalkara herausragte. Auf dem äußeren Bollwerk waren Arquebuceros in langer Reihe angetreten. Der stechende Rauch ihrer Lunten brannte ihm in den Augen. Die meisten dieser Schützen waren Kastilier aus der Gruppe der Tercios aus Sizilien und Neapel. Ihre Brustharnische und Kleidung waren überaus bunt, denn jeder Mann mußte sich hier selbst ausstatten. Was sie an Uniform gemeinsam hatten, war das kleine rote Burgunderkreuz am Wams. Sie waren in Gruppen von sechs zusammengefaßt und nannten sich las camaradas . Hinter ihnen hatte sich die maltesische Miliz mit ihren Halbpiken postiert. Sie hatten selbstgemachte Lederrüstungen und einfache Helme angelegt. Inmitten der vordersten Front sorgten die spanischen und portugiesischen Ritter für deneinzigen Anschein von Großartigkeit: Sie trugen über ihren glänzenden Rüstungen purpurrote Umhänge und auf der Brust das schlichte weiße Kreuz der Kreuzritter. Orlandu hockte hinter diesen Linien auf dem Deckel eines Wasserfasses und konnte von seinem Beobachtungspunkt aus die Truppen des Feindes überblicken. Es blendete seine Sinne, wie sehr sich diese einander gegenüberstehenden Heere in ihrer Pracht unterschieden.
Die Große Ebene war ein riesiges, flaches Landstück, das sich von den Gräben außerhalb der Stadtumwallung bis zu den Höhen von Santa Margharita erstreckte. Auf dieser Anhöhe hatten sich nun die gegnerischen Horden versammelt. Die Türken waren mit mehr Glanz und Pracht ausgestattet, als Orlandu für möglich gehalten hätte. Sie boten ein blendendes Bild mit strahlendem Grün und Blau, mit glänzendem Gelb und feurigem Rot, ein Bild von blinkenden Musketen, Stangenwaffen und Damaszenerklingen, von unzähligen weißen Turbanen, von flatternden Bannern und riesigen Fahnen, die mit Skorpionen, Elefanten, Fischreihern und Habichten verziert waren und mit dem Halbmond, dem Davidsstern, mit doppelschneidigen Schwertern und exotischen Schriftzeichen, die gar wundersam anzuschauen waren. Selbst die Pferde der Reiterei, die auf beiden Flanken zu zwei riesigen Karrees angetreten war, trugen goldene Kopfrüstung und glänzende Messingpanzer. Der ganze prächtige Aufzug schimmerte von Seide und glitzerte wie das Meer, wenn sich die Sonne an dem kostbarsten vergoldeten Zierat und herrlichen Edelsteinen spiegelte, als sei diese mächtige Heerschar nicht auf dieses ferne Feld gezogen, um in einer Schlacht zu kämpfen, sondern um ein Fest von überschäumender Pracht zu feiern.
Plötzlich fragte sich Orlandu, warum sie eigentlich alle hier versammelt waren und was sie hierhergebracht hatte, warum Gott ihm die Gnade geschenkt hatte, das alles hier mitzuerleben. Seine Brust schwoll ihm vor begeisterter Aufregung so sehr, daß er kaum noch atmen konnte. Die prächtigen Heerscharen des Sultans schienen unerschöpflich, aber auch die ungeheure Stadtmauer mit ihren bewehrten Mauerzinnen und den Kämpfern desOrdens wirkte gleichermaßen uneinnehmbar. Dieser Widerspruch schien Orlandu so unauflöslich, daß diese beiden Gegner doch sicherlich zu einer einvernehmlichen Lösung kommen und ihrer getrennten Wege gehen würden. Einen Augenblick lang verspürte er große Angst, daß sich all dies tatsächlich in Luft auflösen könnte wie ein unvergeßlicher Traum, den er nicht zu Ende geträumt hatte. Er wollte nicht, daß die Heerscharen sich abwandten und fortgingen. Von einem Ende der Zeiten bis zum anderen wurde doch sicherlich nur wenigen das Privileg zuteil, eine solche verheerende Umwälzung mitzuerleben, wie sie sich hier vor ihm anbahnte. Das verrieten ihm die Gesichter der Ritter. Das verrieten ihm sogar die Steinplatten unter den nackten Fußsohlen. Irgend etwas, das ihm seine Eingeweide umdrehte und tief in seinen Knochen steckte, sagte ihm das. Und weil alle, die hier unter dem tiefblauen Himmel standen, es auch wußten, begriff Orlandu,
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