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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Flugmaschine nach und nach bisher geschlossene Erinnerungsknospen aufbrechen. Denn auch als Eingeweihter hatte er nicht verlernt, was andachtsvolles Staunen hieß. Mit großen Augen entdeckte er immer neue Einzelheiten. Die Flugmaschine war in mehrere schalenförmige Etagen unterteilt. Zwischen den übereinanderhängenden Schalen sorgten Zwischenetagen, Erker, Treppentürmchen und schräge Ebenen für eine verwirrende Vielfalt von vertikalen und horizontalen Verbindungen.
    Er brauchte lange, bis er zwölf Knotenpunkte ausgemacht hatte, die in unterschiedlichen Höhen und Abständen um eine zentrale Kugel zu kreisen schienen. Jeder der Knotenpunkte war eine Art Wohnhaus mit einer Zimmeraufteilung, die ihn an die Häuser im Dorf erinnerte. Dahinter befanden sich konisch auseinanderlaufende Trichter, die wie zusammengerollte Gärten und Felder aussahen. Es war, als hätten die Erbauer der Flugmaschine das Sakriversum als zweidimensionales Vorbild verwandt, um danach eine dreidimensionale Version zu bauen.
    Wenn dieser Gedanke richtig war, konnte die Kugel in der Mitte eine ähnlich zentrale Funktion haben wie das Buch-Heim.
    Guntram zögerte lange, ehe er sich in die Nähe der Kugel in der Mitte der kleinen, wunderbaren Welt wagte. Es gab noch zu viele Dinge, die er einfach nicht verstand. Nur eines ahnte er instinktiv: Die Anordnung der Knotenpunkte und der Kugel in der Mitte mußte etwas mit den geheimnisvollen, weit entfernten Himmelskörpern zu tun haben, die in den alten Überlieferungen als Sterne und Planeten bezeichnet wurden.
    Als das Haus noch stand, hatte er einmal in Meister Wolframs Kemenate große Tafeln mit Kreisen, Linien, Winkeln und seltsamen Symbolen gesehen. Er wußte, daß sie Horoskope hießen, aber auch jetzt konnte er mit diesem Begriff noch nichts anfangen.
    Die Tabu-Tafeln konnten immer nur drei Logenmeister gemeinsam entschlüsseln.
    Und Meister Otto, der Clan-Chef der Astronomen-Familie.
    Hatten deshalb ihre Häuser nebeneinander gelegen?
    Kannte Otto die großen Geheimnisse des Universums, während Wolfram sich auf das Innerste der Materie verstanden hatte?
    Aber Otto war kein Logenmeister, obwohl er das Augenzeichen trug.
    Warum nicht?
    Guntram wußte, daß es in der Vergangenheit manchmal Verschiebungen der Aufgabenteilung zwischen den Familien gegeben hatte. Doch was konnte ein so schwerwiegender Verstoß gegen die Regeln ihres Volkes gewesen sein, daß es als Sakrileg geahndet worden war?
    Guntram fand keine Antwort auf diese Frage. Trotzdem beunruhigte sie ihn. Drei Logenmeister waren erforderlich, um das Sakriversum zu erhalten - drei von zwölf.
    Aber das war noch nicht das ganze Problem! Die Erbauer des Sakriversums hatten viel mehr gewollt, als einigen Menschen eine Überlebenschance zu geben. Jetzt, wo er den Inneren Altar erreicht hatte, begann er langsam zu verstehen, daß er nicht am Ende, sondern eher am Anfang eines langen Weges angekommen war.
    Doch gab es überhaupt einen Anfang und ein Ende? War nicht alles ein ewiges Fließen in einem Universum ohne Grenzen?
    Wenn jedes Staubkorn, jede Pflanze und jeder Gedanke nur eine zeitlich engbemessene Erscheinungsform kosmischer Harmonie war, konnte im Grunde nichts und niemand endgültig sein. Vielleicht war das der Fehler der Weltlichen gewesen. Sie hatten sich innerlich und äußerlich zerstört, weil sie gleichzeitig behalten und verändern wollten.
    Er dachte plötzlich an die alten Wächter der Kathedrale.
    Besonders befähigte Wissende ... Abgesandte der Päpste, die alle Pläne kannten ... sollten etwa die Bischöfe ...?
    So konnte es gewesen sein! Das würde auch erklären, warum auch viele Jahrhunderte später noch immer eine Verbindung von unten nach oben bestand!
    Von unten nach oben - immer nur in dieser einen Richtung!
    Plötzlich fiel ihm ein, was er mit Goetz vereinbart hatte.
    Es ging nicht!
    Hatte nicht Meister Albrecht etwas vom Eigenrauschen der Röhren und Schallkanäle in den hohen Mauern erzählt, das lauter war als ihre eigenen, kleinen Stimmen?
    Er wußte nicht, wann das Wissen um das Sakriversum unten in Vergessenheit geraten war. Aber irgendwann vor ein, zwei Generationen waren die ersten Drohnen aufgetaucht. Für die Logenmeister waren die künstlichen Vögel ein Zeichen dafür gewesen, daß sich die Weltlichen mit ihrer Technik immer mehr den Geheimnissen des Allerkleinsten näherten.
    Guntram stand gedankenverloren vor der wie Glas schimmernden Kugel in der Mitte der Flugmaschine. Wurden die Drohnen

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