Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
Vom Netzwerk:
Hirsebrei. Die meisten von ihnen schienen über Nacht die Scheu vor den Fremden verloren zu haben. Nur die etwas älteren verhielten sich noch ablehnend. Sie erkannten die besorgten Blicke ihrer Eltern und gaben unwissentlich den Bankerts die Schuld an allem Unheil.
    Bei den Erwachsenen gingen zuerst die Frauen wieder zum normalen Tagesrhythmus über. Sie holten Holz, machten Feuer in den Herden, hängten Wasserkessel an klirrende Eisenketten und versuchten, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Nach den wirren ersten Tagen im Sakriversum versprach der neue Morgen etwas mehr geregelte Arbeit.
    Überall öffneten sich Fenster. Schander und Bankerts steckten ihre Köpfe in die kühle Morgenfrische. Sie blinzelten ins erste Licht aus den Beryllos-Linsen unter dem hohen, schrägen Dach. Hier und dort wurde sogar ein Gruß zwischen den Angehörigen der Familien und den Eindringlingen gewechselt.
    Von den Feldern kamen die Tiere zurück. Schweine, Schafe und Ziegen suchten die Nähe der Menschen. Eine Gruppe laut schnatternder Gänse watschelte auf den fast wasserlosen Bach zu und begann, im Uferschlamm zu gründeln.
    Vögel zwitscherten wieder in den Büschen, und als die großen, waagerecht zwischen der Teufelsmauer und dem Kathedralendach aufgehängten Windflügel den weiß aufsteigenden Rauch aus den Kaminen langsam verteilten, hätte alles so sein können wie früher.
    Jahrhundertelang hatten die Windflügel und die anderen verborgenen Systeme für ein ausgeglichenes Klima im Sakriversum gesorgt - ganz gleich, ob jenseits des Kathedralendachs eisige Stürme tobten oder die Glut der Sommersonne auf den Bleiplatten lastete.
    Für ein paar Wochen, einen Atemzug nur, hatte auch die übrige Sakriversums-Mechanik wie zwischen zwei Pendelbewegungen eines riesigen Uhrwerks ausgesetzt. Jetzt hatten sich ruhende Seilschlingen wieder gespannt, alte Balken in ihren Nutführungen verschoben und Sperren gelöst.
    In einer einzigen Nacht war die Mechanik hinter der verlorenen Zeit hergeeilt und hatte sie eingeholt.
    Die Schander spürten die Veränderung sofort. Sie kannten das Phänomen der Heimatfremdheit aus den Berichten ihrer Ahnen. Nach jeder Flucht in die Bleikeller dauerte es mehrere Tage, bis sie sich wieder an den Zustand ihrer Welt vor dem Weg in die Tiefe gewöhnt hatten. Erst danach durfte die Sakriversums-Mechanik wieder auf Tag und Monat und die Verhältnisse im Draußen abgestimmt werden.
    Doch diesmal hatten mehrere Faktoren gleichzeitig die Rückkehr zu den alten Regeln verzögert.
    Es dauerte sehr lange, bis sich die ersten Männer und Frauen auf den Weg in die Felder machten. Das Licht aus den Beryllos-Linsen war bereits warm und hell, als sich die Bankerts endlich mit den Clan-Chefs einigten.
    König Corvay ließ sich die ganze Zeit nicht sehen. An seiner Stelle gaben Galus, Hector und Patrick unter der Dorflinde die Arbeitseinteilung bekannt. Sie waren jedoch klug genug, auf alle Einwände und Vorschläge der Clan-Chefs einzugehen.
    Kurze Zeit später setzte sich Patrick auf die Rundbank unter der Linde. Er nestelte eine kunstvoll gearbeitete und dennoch knorrig aussehende Tabakspfeife aus einem Beutel, reinigte sie, stopfte sie mit kleinen Krümeln und steckte sie schließlich an. Versonnen schmauchend blickte er über die Wiesen.
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich einige Kinder erschreckt hinter den Büschen verbargen. Wahrscheinlich hatten sie noch nie einen rauchenden Mann gesehen.
    Patrick lächelte grimmig. Er paffte noch schneller. Die Schander waren über Nacht lebendiger, aufgeweckter und kooperationsbereiter geworden. Auf den ersten Blick sah es ganz so aus, als hätten sie das Unvermeidliche inzwischen eingesehen. Er selbst hatte jedenfalls nichts mehr von ihrer bisherigen, stumm leidenden Einstellung bemerkt.
    Hector kam langsam auf ihn zu.
    »Mußt du die Luft eigentlich so verpesten?« brummte er. »Ich hatte gerade angefangen, wieder tief durchzuatmen.«
    Patrick sah den ehemaligen Ringer erstaunt an.
    »Was ist denn mit dir los?«
    »Wieso? Was soll mit mir los sein?«
    »Ach, nichts!« sagte Patrick mit einer Bewegung seiner Pfeife. Trotzdem wunderte er sich über Hector. Er benahm sich irgendwie anders als sonst.
    »Ich gehe mal hinüber zu Meister Herbort«, rief Galus vom Bach her. Er hatte die ganze Zeit gebückt Wasserproben in kleine Krüge gefüllt. Die Clan-Chefs waren wieder in ihren Häusern verschwunden. Aus den Gärten kam der leise Gesang von jungen Mädchen.
    Patrick strich

Weitere Kostenlose Bücher