Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
alle großen Religionen Raum und Zeit und Logik für unwichtig erklärt? Wieso war immer wieder über gläubige Menschen gelacht worden? Hatte denn irgend jemand auch seine Träume, Ängste und das Gefühl leugnen können, Teil eines unendlichen, ewigen und letztlich nie begreifbaren Universums zu sein?
Goetz schüttelte den Kopf. Mit wieviel Energie hatten die Menschen bis zuletzt gegen die nachweisbaren Ursachen des drohenden Untergangs gekämpft!
Für das Austrocknen der Seele hatte es keine Statistiken gegeben ...
Goetz wollte bereits in den Vorratskeller gehen, als ihm einfiel, daß es dort unten keine Duschen gab. Er blieb abrupt vor dem Altar stehen.
Kein Wasser!
Er schluckte unwillkürlich. Daran hatte er bisher nicht gedacht. Unten im Vorratskeller gab es große Mengen von Lebensmitteln. Ein paar Kisten Suppen und versiegelte Kanister mit Getränken hatte er auch gesehen. Trotzdem konnte er sich doch nicht wochenlang mit Saftkonzentraten oder Wein waschen.
Er starrte auf das steinerne Taufbecken schräg vor dem Altar. Es war so trocken wie die kalten Steinplatten des Fußbodens. Fröstelnd dachte er an die Pumpen im zerstörten Verlagsgebäude. Ohne Strom konnte er sie nicht mehr benutzen. Außerdem lagen sie unter meterhohem, strahlenverseuchtem Schutt.
Jetzt rächte sich, daß er nicht früher nach anderen Versorgungslagern gesucht hatte! Er war sicher, daß es überall in der Stadt Keller mit Reserven gab, die nicht verseucht waren. Trotzdem kam er nicht an sie heran. Er hatte keine Möglichkeit mehr, meterdicke Panzerschotts zu öffnen.
Das Sakriversum fiel ihm ein. Unwillkürlich blickte er nach oben. Auch dort war Wasser zu einem Problem geworden! Die kleine Welt unter dem Dach der Kathedrale war auf der Regennutzung aufgebaut. Siebenhundert Jahre lang hatte der Regen Wasser, Ernten und kinetische Energie bedeutet. Was jetzt noch von den Wolken herangetragen werden konnte, war schlimmer als Gift!
Goetz lachte unwillkürlich. Damit war auch das Sakriversum zum Untergang verurteilt! Er konnte seinen kleinen Freunden nicht mehr helfen.
»Aus!« murmelte er resignierend. »Endgültig aus!«
*
Niemand wußte, wo Meister Otto war. Agnes hatte stundenlang im Vorgarten der Astronomen-Familie gewartet. Das Licht aus den Beryllos-Linsen ließ den verwaschen wirkenden Schatten der Linde beinahe genau nach Norden fallen.
Mehrmals hatte Agnes in ihrem Versteck unter einem Holunderbusch gehört, daß nach ihr und Otto gesucht wurde. Jeder schien plötzlich etwas zu suchen.
Am frühen Vormittag huschte Lello von Haus zu Haus. Er machte sich an den Familienzeichen zu schaffen, sah sich lauschend nach allen Seiten um und kletterte in die Gärten.
Kurze Zeit später erschienen fast gleichzeitig die Clan-Chefs in den Vorgärten. Sie taten so, als würden sie sich nicht sehen. Agnes beobachtete, wie sie die Knospen an den Zweigen der Büsche prüften, den Boden untersuchten und bedächtig um die Bäume herumgingen. Sie näherten sich den Familienzeichen.
Keine Minute später standen fast alle an der Straße. Sie verständigten sich mit Handzeichen, ehe sie schnell in die Häuser zurückgingen.
Die Bewohner des Dorfes zogen auf die Felder. Nur einige Frauen und Kinder blieben zurück. Als die Straße wieder leer war, ging der Mann, der die Gesetze verkündet hatte, mit langsamen Schritten zu den beiden abgebrannten Häusern.
Menennery Luck zögerte, dann verschwand er in den Trümmern. Von der anderen Seite kamen Jan, Pete und Bronco. Die Artisten nahmen den gleichen Weg wie Lello. Auch sie überprüften alle Familienzeichen an den Hauswänden. Diesmal konnte Agnes hören, was sie suchten.
»Da ist uns jemand zuvorgekommen!« sagte Pete am Haus von Otto.
Jan nickte verärgert.
»Die Schander müssen etwas geahnt haben!«
»Möchte nur wissen, warum König Corvay ausgerechnet diese Halbedelsteine haben will«, brummte Bronco.
»Es hat etwas mit dem Testament und dem Inneren Altar zu tun«, sagte Jan. »Wenn alle Steine zusammengefügt werden, bilden sie eine Art Detektorquarz. Vor hundert Jahren funktionierten die ersten Radioempfänger nach einem ähnlichen Prinzip.«
»Nie etwas davon gehört«, meinte Bronco. »Wozu braucht Corvay jetzt noch ein primitives Radio?«
»Vielleicht will er etwas senden«, überlegte Pete.
»An wen?«
Pete hob die Schultern.
»Keine Ahnung! Jedenfalls waren die Steine gestern noch da. Ich habe gesehen, wie sich einer der Clan-Chefs an der Ruine des
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