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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Eingeweihter, aber er hatte nie gelernt, selbst zu entscheiden, wie weit er gehen durfte. Und er hatte sein Volk verlassen ...
    Die Flugmaschine raste über leere Eisflächen. Die Kurven wurden immer enger. Guntram wurde in den Sitz gepreßt. Das Atmen fiel ihm schwer.
    Verzweifelt versuchte er, sich gegen die unbekannte Kraft zu stemmen. Ein endloser, an den Kanten weißgrün gleißender Spaltenbruch im Eis kam auf ihn zu. Guntram erkannte farbige Schichten, in denen sich das Licht als gefrorener Regenbogen brach.
    Erst ganz tief unten leuchtete das Licht wieder weiß.
    Noch einmal bäumte er sich mit aller Kraft gegen das Unheil auf. Dann hörte er nichts mehr.
    *
    Es wurde eine lange, unruhige Nacht. Immer wieder schreckten Männer, Frauen und Kinder aus dem Schlaf. Sie lauschten in die Dunkelheit, ehe sie müde die Decken wieder über sich zogen.
    Zur echten Mitter-Nacht genau zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang lösten sich nacheinander vermummte Schatten von den Häusern. Einige huschten nach Westen, die anderen tasteten sich in der Dunkelheit an den Büschen der Straßengräben entlang.
    Paßwort und Paßgriff bildeten ihre Erkennungszeichen in der Finsternis. Nach und nach versammelten sie sich am Buch-Heim. Sie setzten sich auf die Steinmauer am Bachufer.
    Als bereits vier Clan-Chefs am alten Haus angekommen waren, quiekte plötzlich ein Schwein weiter östlich im Dorf. Nur wenig später näherte sich eine weitere vermummte Gestalt.
    »Bist du es Otto?«
    Der Vermummte brummte ärgerlich. Sie ließen ihn in Frieden. Der Fünfte setzte sich wortlos neben die anderen.
    Nach einer guten halben Stunde wurden keuchende Geräusche hörbar. Im abgedeckten, grünlich fluoreszierenden Licht eines halbvermoderten Holzscheits lösten sich vier weitere Schatten aus der Dunkelheit. Wilhelm, Walter, Konrad und Herbort schleppten die Leichname der beiden toten Clan-Chefs auf Tragen bis zum Buch-Heim. Sie hatten Meister Wirnt und Meister Wolfram geholt.
    Die anderen standen auf. Nacheinander schlüpften sie durch den Einlaß in der großen, alten Holztür. Sie gingen durch den Windfang. In der Küche angekommen, machte sich Eilhart der Jäger am großen Feuerloch des früheren Herdes zu schaffen. Gleich darauf loderten knisternde Flammen auf und beleuchteten die übereinander gestapelten Bohlentische in der Mitte des Raums. Schnüre und Seile warfen tanzende Schattenlinien an die Wände.
    Bieterolf sorgte für Met. Einige andere trugen die Leichname von Meister Wolfram und Meister Wirnt nach oben.
    Als sie wiederkamen, brannte bereits rauchlose Holzkohle. Uralte Töpfe, Tiegel und Pfannen hingen wie mächtige Feldzeichen an den Wänden. Sie erinnerten daran, daß hier vor siebenhundert Jahren die Geschichte des Sakriversums begonnen hatte.
    Nachdem jeder seinen Krug mit Met hatte, setzten sie sich im Halbkreis auf Schaffelle um das Feuer. Sie trugen noch immer ihre tief in die Gesichter gezogenen Rundhüte. Nur zwei oder drei Clan-Chefs hatten ihre langen Umhänge abgelegt.
    Bieterolf räusperte sich.
    »Es wird immer schwieriger, unbelauscht miteinander zu sprechen«, sagte er. »Manchmal weiß man schon nicht mehr, ob der andere der ist, für den er sich ausgibt.«
    Die übrigen Clan-Chefs murrten verhalten.
    »Ich schlag daher vor, daß wir uns so verhalten wie in den Zeiten, in denen wir nicht wollten, daß die Wände Ohren hatten!«
    »Sollen wir etwa in der alten Sprache reden?«
    Bieterolf schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß, daß ich kein Recht habe, wie nach dem Rat von drei Logenmeistern zu sprechen! Aber vergeßt nicht, daß wir uns in einer vollkommen neuen Situation befinden! Zwei Logenmeister sind tot. Auch der Eremit lebt nicht mehr, Wolframs Enkel ist bisher ein Adept ohne Erfahrungen, und auch der Weltliche würde noch viele Übungen benötigen, ehe er die Dreieinigkeit des Glaubens versteht.«
    »Willst du damit sagen, daß wir dich als einzigen Logenmeister anerkennen sollen?« fragte der Chef der Seiler-Familie unwillig.
    »Du hast mich nicht verstanden, Friedrich! Wir sind am Ziel unserer jahrhundertelangen Geduld, in der wir uns bei jeder Gefahr zurückziehen mußten! Das ist es, was ich meine!«
    Die Clan-Chefs ließen Bieterolfs Worte auf sich einwirken.
    »Wir haben unseren Schutz verloren«, sagte Wilhelm, der Schmied. »Siebenhundert Jahre ... und alles vergeblich! Das Eisen ward umsonst geschmiedet!«
    »Nein«, widersprach Bieterolf. »In den vergangenen Generationen galt jede abweichende

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