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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Hand Bierkruken und in der anderen Brot, Wurst oder Schinken. Die meisten blieben in der Nähe des Feuers unter der Linde.
    Goetz starrte auf die fremdartigen Bilder der Gier. Er hatte niemals in seinem Leben Hunger gehabt. Was Menschen wie er benötigt hatten, war ihm Tag und Nacht in fast perverser Fülle angeboten worden. Ein paar Zeichen und Buchstaben auf den Sensoren des Armband-Terminals hatten ausgereicht, um jeden nur denkbaren kulinarischen Genuß zu bestellen. Der Überfluß war so selbstverständlich geworden wie Wasser aus der Wand und Licht in allen Räumen.
    Natürlich hatte sich das nicht jeder leisten können, doch gerade weil die Spar-Appelle schon zum Alltag in den ersten Jahrzehnten des einundzwanzigsten Jahrhunderts gehörten, galt es als chic, gegen die Energie-Gesetze zu verstoßen.
    In Wahrheit hatten die Etablierten längst genug gehabt. Keiner von ihnen konnte die immer gleichen erlesenen Kaviarbrötchen, die eingelegten Wachteleier, über Buchenspänen geräucherten Lachsschnitten, die zarten Steaks, Soufflés und Petite Fours mehr sehen.
    Aus Überfluß war Überdruß entstanden.
    Erst jetzt begann Goetz zu verstehen, warum die Welt, in der er aufgewachsen war, ein böses Zerrbild der Wirklichkeit gewesen sein mußte ...
    Die Fremden räumten alles aus. Was sie nicht mitnehmen konnten, verbrannten sie. An vielen Stellen oberhalb und unterhalb der Straße qualmten Feuer. Verendete Tiere, die von den Wilden im ersten Hunger erschlagen worden waren, trieben zum Stauwehr.
    Die Kameras fingen den Blick von toten Schweineaugen auf. Sie folgten leblosen Vogelkörpern, die in den Wellen an die Ufer schwappten ...
    REGIEANWEISUNG: Zeitblende 24 Stunden später!
    Die Bildschirme flackerten. Abrupt änderten sich die Szenen auf den Monitoren. Die fremden Eindringlinge hatten das Dorf vollständig in Besitz genommen. Aus mehreren Kaminen quoll schwarzer Rauch. Von den Lagerfeuern auf den Feldern und an der Straße zog der Geruch von gebackenen Hühnern und Schweinen bis zum Turm am Bach. Die Kameras fingen Gerüche und Bilder ein, die Goetz irgendwie angebrannt vorkamen.
    Das war nicht mehr das Dorf, wie es einmal gewesen sein mußte! Schmuddelige Kinder spielten mit kostbaren Holzpuppen, die nicht für sie geschnitzt worden waren. Junge Mädchen liefen mit bunten Kleidern über die Straßen, in denen sie sich wie schauspielernde Aktricen benahmen. Sie kicherten, tanzten und sangen vor Männern, die neben den Zäunen mit offenen Mündern schnarchten.
    »Komm!« sagte einer neben dem Bach.
    »Laß mich in Ruhe«, lallte sein Nachbar. Eine halbgeleerte Kruke entglitt seinen Händen.
    »Verdammtes Sakriversum!«
    Ein verwachsen wirkender Wilder ritt auf einem Muli über die Dorfstraße. Er schlug auf große Kesselpauken an den Flanken seines Reittiers. Ein buntgekleideter Narr hüpfte klampfezupfend hinter ihm her.
    »Kommt, Leute, kommt!« kiekste er immer wieder. »Verlaßt das Sakriversum, denn es wird böse enden ...«
    ARCHIVSPERRE! WEITERE INFORMATIONEN NUR FÜR KLERIKAL-BEAMTE!
    Die Bilder auf den Monitoren erloschen. Gleichzeitig wurden die Deckenlichter dunkler. Mit langsamen Seufzern sanken die hydraulischen Kamera-Plattformen im Kommunikations-Zentrum nach unten. Nach und nach schalteten sich die verschiedenen Systeme ab.
    Goetz fühlte die plötzliche Bedrohung.
    Er sprang auf und lief zum Ausgang. Die Automatik funktionierte nicht mehr. Ihr leeres Klicken klang wie das letzte Flügelschlagen eines mechanischen Vogels.
    Neben der Tür floureszierte eine grünliche AC-DC-Platte. Die Dauerstrom-Einheit wurde durch einen Radium-Selen-Kern gespeist.
    Goetz legte seine Fingerkuppen auf die Platte. Es dauerte drei Sekunden, bis die Fließkristalle in der Plattform auf seine Körperwärme reagierten.
    Mit einem zähen Schmatzen öffnete sich ein neben der Tür in die Wand eingelassenes Fach. Goetz wußte nicht, wie oft ihm bereits Wandfächer weitergeholfen hatten. Sie kamen ihm inzwischen wie ein vorprogrammierter Deus ex machina vor: Meilensteine auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft ...
    Sauber geordnet standen verschiedene Erste-Hilfe-Utensilien im matten Licht des Wandfachs. Goetz entdeckte Drahtspulen, Klebestreifen, Pflaster, Binden, Skalpelle, Tabletten, ein Schraubenzieher-Sortiment, einen scharfkantigen Hammer, andere Werkzeuge, Sprühflaschen mit unterschiedlichen Aufdrucken und einen winzigen, kodierten Magnetstreifen.
    Auf einer schwach blakenden Bildplatte hinter den Werkzeugen

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