Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
dem Augenblick zu Ende, als mir klar wurde, was für ein intriganter Lügner du bist.«
»Aber ich brauche dich.«
»Wozu? Du hast doch jetzt bekommen, was du wolltest. Auch ohne meine Stimme.«
»Das war doch erst der Anfang.« Michel blickte zum Bischofspalast auf der anderen Seite des Domplatzes und senkte seine Stimme. »Jetzt müssen wir die Gilde erneuern. Ich schaffe das nicht alleine. Ich brauche dafür die Hilfe so vieler Schwurbrüder wie möglich – auch deine. Ganz besonders deine.«
»Du hättest meine Hilfe haben können«, sagte Gaspard. »Aber du hast es ja vorgezogen, mich auszuschließen.«
»Was geschehen ist, ist geschehen. Ich kann das nicht rückgängig machen. Ich kann dich nur bitten, deinen Zorn zu vergessen. Steh an meiner Seite«, sagte Michel. »Arbeite mit mir zusammen. Gemeinsam können wir alles erreichen, was wir uns für Varennes erträumen.«
»Du meinst, was du dir erträumst. Was ich will und was ich für richtig halte, kümmert dich doch nicht.«
»Das ist nicht wahr!«
»Ach nein? ›Ihr müsst euren Plan aufgeben. Was ihr da vorhabt, ist töricht und verrückt.‹ Waren das deine Worte oder nicht?«
Schweigend standen sie sich gegenüber. Michel wusste nicht, was er noch sagen sollte. Gegen so viel Zorn und Verbitterung kam er nicht an.
»Wenigstens haben die letzten Tage eine Frage beantwortet, die ich mir schon lange stelle, und das ist auch etwas wert«, murmelte Gaspard nach einer Weile.
»Was für eine Frage?«
»Ob du mir meine Herkunft neidest. Jetzt weiß ich es.«
»Was redest du da?«, fragte Michel fassungslos. »Deine Herkunft interessiert mich nicht.«
Gaspard lachte bitter auf. »Natürlich. Du hast es mir nie missgönnt, dass ich aus einer alten und angesehenen Familie komme, während du nur der Sohn eines Hörigen bist. So wie du auch nie voller Neid auf meinen Reichtum geblickt hast. Mach dir nur ruhig weiter etwas vor, Michel. Ich dagegen weiß endlich, wer du wirklich bist.«
»So einen himmelschreienden Unfug habe ich schon lange nicht mehr gehört«, erwiderte Michel.
Gaspard schnellte nach vorn und packte ihn mit beiden Händen am Kragen. Sein Gesicht glühte vor Zorn. »Der Gildemeister entstammt stets einer alten Familie. So war es immer, seit es die Gilde gibt. Mir hätte der Posten zugestanden. Mir! Das wusstest du, aber das hättest du nicht ertragen, nicht wahr? Deshalb hast du ihn gestohlen, bevor ich etwas dagegen tun konnte. Du … Emporkömmling!« Gaspard stieß ihn von sich, fuhr herum und verschwand in der Dunkelheit.
Michel stand lange da und starrte ihm nach. Irgendwann legte ihm jemand eine Hand auf die Schulter.
»Was treibt Ihr denn hier unten?«, fragte Charles Duval, der bereits angetrunken war. »Kommt nach oben, die anderen warten auf Euch. Wir müssen doch Euren Sieg feiern!«
»Meinen Sieg«, echote Michel tonlos und fragte sich einmal mehr, ob der Preis für seinen Triumph nicht viel zu hoch gewesen war.
Der Barbier trocknete Bischof Ulman behutsam Kinn und Wangen ab und hielt ihm den Bronzespiegel hin. »Ich hoffe, Ihr seid zufrieden, Exzellenz.«
Ulman ließ sich Zeit damit, das Werk des Bartscherers zu begutachten. Er verabscheute nichts mehr als ein unsauber rasiertes Kinn oder Reste von Bartstoppeln an der Kehle. Er konnte nicht von seinen Dienern verlangen, auf sorgfältige Körperpflege zu achten, ohne mit gutem Beispiel voranzugehen. Doch der Barbier hatte gut gearbeitet. »Ganz ausgezeichnet.«
»Ich danke Euch, Exzellenz.« Der Mann nahm ihm das Umhängetuch ab und wischte vereinzelte Bartstoppeln von der Schulterpartie der Soutane.
»Gestern Abend hat meine Kniekehle angefangen zu schmerzen. Ich fürchte, ich bekomme ein Furunkel. Sieh es dir bitte einmal an.«
»Gewiss. Am besten steche ich es auf, damit es gar nicht erst reifen kann.«
Gerade als Ulman seine Soutane heben wollte, betrat Namus die Kammer. »Herr Géroux ist da, Exzellenz«, meldete der Diener. »Er möchte Euch sprechen.«
»So früh am Morgen? Sag ihm, er soll sich eine halbe Stunde gedulden.«
»Er sagt, es sei dringend.«
Eine tiefe Falte erschien zwischen Ulmans Augenbrauen. Er schätzte es ganz und gar nicht, wenn man seinen gewohnten Tagesablauf durcheinanderbrachte. »Na schön. Herein mit ihm. Ich hoffe für ihn, dass es wichtig ist.«
Er bat den Barbier, später wiederzukommen, und begab sich in den Saal des Palastes, wo Géroux auf ihn wartete. Der Kaufmann trug ein überaus teures Gewand aus blauem panno pratese
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