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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Mund wurde trocken, als er sah, wie sein Vater das Schwert hervorzog. Was hatte er vor? Wollte er es dem Kriegsknecht in die Brust stoßen, wenn sich der Mann zu der Öffnung hinunterbeugte?
    Vivienne spürte sein pochendes Herz und schlang die Arme noch fester um ihn.
    Kurz darauf konnte Michel den Kriegsknecht sehen. Es war einer der Männer, die Guiscard geholfen hatten, Pierre zu bestrafen. Er trug ein Kettenhemd unter dem Umhang und einen spitzen Helm mit eisernem Fortsatz, der die Nase vor Hieben schützte. Mit gezücktem Schwert schlich er durch den Wald, blickte mal hierhin, mal dorthin, suchte den Boden nach Spuren ab. Aus dem Mund drangen ihm Wölkchen dampfenden Atems.
    Er war keine zwanzig Ellen von ihrem Versteck entfernt. Noch fünf, höchstens sechs Schritte, und er würde die Lücke zwischen den Ästen entdecken.
    Michels Vater biss die Zähne zusammen und umklammerte den Griff des Schwertes so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Der Soldat wandte dem Holzhaufen den Rücken zu. Offenbar hatte er aus einer anderen Richtung ein Geräusch gehört. Geh! Bitte geh!, betete Michel.
    Diesmal erhörte Gott sein Stoßgebet nicht. Der Kriegsknecht kam abermals näher, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Hatte er etwas gesehen?
    Ein Ruf schallte durch den Forst.
    »Gilles! Hörst du mich?«
    Der Mann hob den Kopf. »Ich bin hier drüben!«
    »Komm zurück zu den Pferden. Wir brechen die Suche ab.«
    »Wieso? Sie können nicht weit sein.«
    Ein zweiter Soldat erschien zwischen den Bäumen, und die beiden Männer unterhielten sich. Michel musste die Ohren spitzen, um sie zu verstehen.
    »Der Wald ist zu groß – wir finden sie nie. Der Herr will weiterreiten. Er glaubt, dass sie früher oder später in Varennes aufkreuzen, und will sie dort abfangen.«
    »Soll mir recht sein. Hab diese Kälte langsam satt. Ich brauche dringend einen Becher Wein.«
    Die Kriegsknechte stapften davon.
    Kaum waren sie verschwunden, ließen Michel, Jean und ihr Vater gleichzeitig den angehaltenen Atem entweichen.
    »Heilige Jungfrau Maria, war das knapp!« Ihr Vater lehnte den Kopf gegen den Felsen und schloss die Augen. »O Herr, ich danke dir.«
    Sie alle waren so erschöpft, dass sie im Versteck blieben, bis sie sich etwas von den Strapazen der vergangenen Stunden erholt hatten. Ihr Vater verteilte das restliche Brot und die Ziegenmilch und gab jedem eine Decke. Durch die Enge in dem Hohlraum spürten sie die Kälte kaum.
    Nachdem Michel gegessen hatte, wurde er müde und konnte kaum noch die Augen aufhalten.
    Er musste eingeschlafen sein, denn irgendwann gab ihm sein Vater einen leichten Klaps auf die Wange.
    »Aufwachen, du Schlafmütze. Es wird Zeit, dass wir weitergehen.«
    Kurz darauf stapften sie durch den Wald. Obwohl seit der Morgendämmerung mindestens zwei Stunden vergangen sein mussten, war es kaum heller in dem Forst. Durch den Schnee in den Baumkronen gelangte nur wenig Tageslicht zum Waldboden.
    »Gehen wir immer noch nach Varennes?«, fragte Michel.
    »Natürlich«, antwortete sein Vater.
    »Aber dort ist der Herr!«, sagte Jean.
    »Uns bleibt nichts anderes übrig. Bei dieser Kälte überstehen wir in der Wildnis keine drei Tage. Guiscard wird uns schon nicht finden. Varennes ist groß. Er kann nicht die ganze Stadt nach uns absuchen.«
    Sein Vater entschied, für den Rest des Weges die Straße zu meiden und über die Felder zu wandern. Es war ein dunkler, trüber Tag, und es schneite ununterbrochen. Ihnen begegnete keine Menschenseele, nicht einmal dann, als sie auf einige Bauernhäuser stießen. Rauch quoll aus den Kaminen, und während sie an den Hütten vorbeigingen, vernahm Michel fröhliche Stimmen. Bei diesem ungemütlichen Wetter zogen die Menschen es vor, den ganzen Tag drinnen zu bleiben, sich am Herdfeuer zu wärmen und einander mit Liedern und Geschichten zu unterhalten.
    Er dachte an Fleury und stellte sich vor, dass auch dort die Leute gerade in der Dorfschenke zusammensaßen, Holz ins Feuer warfen und frische Ziegenmilch tranken, Julien, Renier, Eloise, Jacques, der alte Odo und all die anderen. Vermutlich redeten sie seit dem Morgen über nichts anderes als ihre Flucht. In diesem Moment wurde ihm klar, dass ihre Freiheit einen Preis hatte: Wenn sie es schafften, Guiscard zu entwischen, würden sie die vertrauten Gesichter nie wiedersehen.
    Seine Wehmut währte jedoch nicht lange, denn wenig später tauchte Varennes-Saint-Jacques aus dem Schneetreiben auf. Etwas Derartiges hatte

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