Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
soll das?«
»Lest den Brief.«
Michel brach das Siegel und entrollte das Pergament. Er musste die Nachricht zweimal lesen, bevor er ihren Inhalt voll und ganz erfasste. Es war ein förmlicher Fehdebrief. De Guillory hielt den Bau der Brücke für eine Verletzung seiner Rechte und erklärte der Gilde die Fehde, um Genugtuung zu erlangen.
Michel hob den Kopf. Regen fiel auf sein Gesicht, als er den Reiter anblickte.
»Das Gesetz verlangt, dass mein Herr Euch drei Tage Zeit gibt, um Wiedergutmachung zu leisten«, sagte Berengar. »Wenn die Brücke dann nicht verschwunden ist, wird er Rache üben. Ho!«, brüllte er, trieb sein Ross zum Galopp an und jagte davon.
Michel betrachtete das Ledertuch mit dem Schwert darauf. Das Blut auf der Klinge wurde allmählich weggespült und bildete feine Schlieren im Schlamm. Es war ein seltsamer, unwirklicher Anblick – so, als hätte sich der Domplatz unversehens in ein Schlachtfeld verwandelt.
»Er erklärt Varennes die Fehde?«, rief Raymond Fabre. »Hat der Kerl endgültig den Verstand verloren? Er kann bestenfalls dreißig Kriegsknechte aufbieten. Bischof Ulman wird ihn wie eine Küchenschabe zerquetschen.«
»Leider erklärt er die Fehde nicht Varennes und schon gar nicht Bischof Ulman«, sagte Michel, »sondern uns, der Gilde. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Solange er das Stadtvolk und den Besitz der Kirche in Ruhe lässt, hat Ulman nämlich keinen Grund, gegen ihn zu kämpfen. Er ist nicht einmal verpflichtet, uns bei der Verteidigung zu helfen.«
»Ihr meint, er sieht einfach tatenlos zu, wenn de Guillory unsere Häuser niederbrennt und unsere Lagerhäuser plündert?«, fragte Catherine Partenay besorgt.
»Ich gehe davon aus, dass Ulman keinen Finger für uns krumm machen wird.«
»Wahrscheinlich hat sich de Guillory mit ihm abgesprochen«, sagte Charles Duval. »Ich schätze, Ulman erlaubt ihm, uns wegen der Brücke zu bekämpfen, weil er hofft, dass uns die Fehde schwächt und wir anschließend keine Gefahr mehr für ihn darstellen.«
Michel nickte. »Ulman weiß, dass er keine Handhabe hat, gegen uns vorzugehen. Aber jetzt hat er einen Dummen gefunden, der ihm die Arbeit abnimmt, und muss sich nicht selbst die Hände schmutzig machen.«
Seine Anhänger saßen am Tisch im Saal seines Hauses und schwiegen bedrückt. Mit dieser Wendung der Ereignisse hatte niemand gerechnet, nicht einmal Fromony Baffour, der erklärte Fatalist.
Marc Travère sprach schließlich aus, was alle dachten: »Was machen wir jetzt?«
»Auf keinen Fall beenden wir den Bau der Brücke, so viel steht fest«, erwiderte Michel. »Oder ist jemand anderer Meinung?«
Niemand meldete sich zu Wort, obwohl er Baffour und Melville ansah, dass sie mit diesem Gedanken spielten.
»Gut«, sagte er rasch, bevor sie es sich anders überlegen konnten. »Also – was sind eure Vorschläge?«
»Wir haben leider nicht viele Möglichkeiten«, antwortete Fabre. »De Guillory will die Brücke abreißen, und wir wollen sie um jeden Preis bauen. Das lässt uns nicht viel Spielraum für Verhandlungen. Wir werden kämpfen müssen, in der Hoffnung, dass wir ihn zurückschlagen können und er bald aufgibt.«
»Es muss einen anderen Weg geben«, sagte Michel.
»Ich fürchte, diesmal nicht, mein Junge«, meinte Abaëlard Carbonel. »Wenn wir uns de Guillory nicht beugen wollen, müssen wir uns mit dem Schwert in der Hand gegen ihn behaupten. Ob es uns gefällt oder nicht.«
Michel biss die Zähne zusammen. Nun geschah genau das, was er immer hatte verhindern wollen. Doch so sehr er sich auch den Kopf zerbrach, ihm fiel keine friedliche Lösung ein, die nicht darauf hinauslief, dass sie alles aufgaben, was sie bisher erreicht hatten.
»De Guillory lässt uns drei Tage Zeit«, sagte Fabre. »Die müssen wir nutzen, um uns vorzubereiten.«
»Wird er diese Frist einhalten?«, fragte Travère. »Was, wenn er schon heute Nacht angreift?«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Duval. »Wenn er nicht vorhätte, sich an das Gesetz zu halten, hätte er die Fehde nicht mit einem förmlichen Brief angekündigt.«
»Wie gehen wir jetzt vor?«, fragte Catherine. Sie und die anderen Kaufleute blickten Michel an.
Sie erwarten, dass ich sie führe.
Er stand auf und begann im Saal umherzugehen. »Zuerst müssen wir ein Aufgebot aufstellen. Jedes Mitglied der Gilde muss bei der Verteidigung unserer Besitztümer helfen, außerdem unsere Familien und Knechte. Ihr beide seid natürlich vom Waffendienst ausgenommen«,
Weitere Kostenlose Bücher