Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
an.«
Bretonnet nahm ein Werk mit Heiligengeschichten in die Hand und betrachtete mäßig interessiert die Miniaturen. Es war Michel ein Rätsel, dass es Menschen gab, die von den liebevoll gezeichneten Buchstaben und Illustrationen nicht augenblicklich fasziniert waren. Doch vielleicht verbarg der Kaufmann seine Begeisterung nur, um seine Verhandlungsposition nicht zu schwächen.
»Braucht Ihr die Bücher für Eure Bibliothek?«
»Bibliothek?« Bretonnet lächelte amüsiert. »Nein. Für so etwas fehlt mir die Zeit. Ich suche noch ein Geschenk für den Erzbischof von Dijon, den ich nächsten Monat besuche. Ich will ihn mir gewogen machen, damit er endlich zu einem wichtigen Vertrag sein Einverständnis gibt.«
Für so etwas, dachte Michel. Sein Gast hielt Bücher ganz offensichtlich für nutzlosen Tand, bestenfalls als Köder für schöngeistige Kirchenmänner geeignet. Er war versucht, das Geschäft abzubrechen und den Kaufmann höflich, aber bestimmt hinauszukomplimentieren. Leider blieb ihm nichts anderes übrig, als über Bretonnets herablassende Art hinwegzusehen. Schon in wenigen Tagen würden sie nach Hagenau aufbrechen – er musste die Bücher jetzt verkaufen. Er konnte es sich nicht erlauben, auf jemanden zu warten, der seine Liebe zu kostbaren Handschriften teilte.
»Welcher Preis schwebt Euch vor?«, erkundigte sich Bretonnet.
»Zehn Pfund für die gesamte Sammlung«, antwortete Michel.
»Zu viel. Viel zu viel. Ich gebe Euch vier.«
»Neun.«
»Fünf.«
»Ist das Euer letztes Wort?«
»Mein letztes. Mehr lohnt sich nicht für mich.«
Natürlich wusste Bretonnet, dass die Bücher mindestens das Anderthalbfache wert waren. Aber er wusste auch, dass die Kaufleute Varennes’ wegen der Fehde um ihr Überleben kämpften und auf jedes Geschäft angewiesen waren. Michel beschloss, den Handel nun doch abzubrechen. Gewiss, er musste die Bücher so schnell wie möglich loswerden. Aber er war nicht bereit, sie zu verschleudern.
Just in diesem Moment entdeckte Bretonnet die Kiste, in der Michel die Bücher nach unten getragen hatte. Darin lag die Consolatio philosophiae, das Abschiedsgeschenk von Messere Agosti.
»Wieso liegt dieses Buch nicht bei den anderen?«, fragte der Kaufmann.
»Es ist nicht zu verkaufen.«
»Jammerschade. Es ist ein Schmuckstück. Ihr erlaubt?«
Widerwillig nickte Michel, woraufhin Bretonnet das Buch in die Hand nahm.
»Eine Schrift von Boethius. Der Erzbischof würde sich die Finger danach lecken.«
»Ich sagte, es ist nicht zu verkaufen.«
»Ich mache Euch ein Angebot«, fuhr Bretonnet unbeirrt fort. »Neun Pfund für die ganze Sammlung, einschließlich dieses Buchs.«
Michel war, als hätte man ihm Daumenschrauben angelegt. Der innere Kampf war heftig, aber kurz. Bitte verzeiht mir, Messere. »Zehn.«
»Gemacht!«, sagte Bretonnet und reichte ihm die Hand.
Als die Knechte des Kaufmanns wenig später die Truhe mit den Büchern nach unten trugen, konnte Michel nicht hinsehen.
Zwei Tage vor seiner Abreise nach Hagenau bemerkte Michel, dass Isabelle ihren roten Schal aus ihrem Fenster gehängt hatte: das verabredete Zeichen dafür, dass sie ihn sehen wollte. Rasch stieg er zu seiner Kammer hinauf und stellte den dreiarmigen Kerzenhalter ins Fenster, womit er ihr signalisierte, er werde versuchen, so schnell wie möglich zur Herberge am Nordtor zu kommen.
Wie bei jedem Treffen mit ihr stand er zunächst vor der heiklen Aufgabe, unbemerkt das Haus zu verlassen. Wenigstens musste er sich diesmal keine Sorgen um Jean machen – sein Bruder hatte in seiner Eigenschaft als Sprecher der Unmündigen in der Unterstadt zu tun und würde frühestens zur None zurück sein. Blieben die Bediensteten sowie Yves und Gérard, die sich gerade im Eingangsraum aufhielten.
Michel hatte sich angewöhnt, für seine Treffen mit Isabelle langwierige Arbeiten aufzusparen, damit er stets etwas hatte, mit dem er seine Leute einige Stunden beschäftigen konnte. Er rief seine Leibwächter und Adrien und Louis zu sich und gab ihnen den Auftrag, Warenkeller und Dachspeicher aufzuräumen und gründlich auszukehren. »Ich bin derweil in der Schreibstube. Stört mich bis heute Abend nicht.«
Als sich die vier Männer an die Arbeit machten, spähte er in die Küche. Thérese und Matenda putzten gerade Rüben und schwatzten vergnügt.
Der Weg war frei.
Michel holte seinen Umhang, schlich die Treppe hinab und verließ das Haus durch den Hof. Kurz darauf kam er zur Herberge am Nordtor. Isabelle
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