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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Hälfte des Jahres auf Reisen waren. Wenigstens blieb ihnen erspart, die Zustimmung des Bischofs zur Heirat einholen zu müssen. Dieses veraltete Privileg des Stadtherrn war vor über vierzig Jahren abgeschafft worden und galt inzwischen nur noch für die Ministerialen und unfreien Gefolgsleute des Bischofs.
    Von seinem Anwesen schritt Gaspard in Richtung Nordosten. Chastain wohnte nicht am Domplatz, sondern am Kanal der Unterstadt, allerdings auf der besseren Westseite, in direkter Nachbarschaft zu seinen Färberwerkstätten. Es war ein großes Steinhaus mit drei Stockwerken und einem Nebengebäude für die Bediensteten und zeugte vom Wohlstand seines Besitzers.
    Chastain musste ihn gesehen haben, denn er öffnete die Tür, bevor Gaspard anklopfen konnte. Auch er trug ein feines Gewand, dazu einen breiten Gürtel und Stiefel aus weichem Leder.
    Nervös lächelnd reichte er Gaspard die Hand. »Seid gegrüßt, Herr Caron. Kommt herein.«
    Im Eingangsraum türmten sich Fässer und Stoffballen, und es roch nach Alaun, dem teuren Beizmittel, mit dem die Tuchfärber ihre Erzeugnisse lichtecht und waschfest machten. Chastain führte ihn nach oben zum Gesellschaftssaal, der wie der Rest des Hauses eine erlesene Einrichtung aufwies. Gaspard schaute sich aufmerksam um. Fein gewobene Teppiche zierten die Wände, über den Türen hingen silberne Kruzifixe, auf den Tischen standen kostbare Leuchter. Die Gerüchte um Chastains Reichtum schienen nicht übertrieben zu sein.
    Sie setzten sich an den Tisch, und eine Magd brachte blutroten Burgunderwein. Nachdem sie den Willkommenstrunk eingenommen hatten, fragte der Tuchhändler: »Nun, wie habt Ihr Euch entschieden?«
    »Ich bin einverstanden. Ich gebe Euch meine Schwester zur Frau.«
    Chastain strahlte über das ganze Gesicht. »Damit macht Ihr mich zum glücklichsten Mann Varennes’ – ach was, von ganz Oberlothringen! Kommt her, mein Freund, lasst Euch umarmen.«
    Überschwängliche Gefühlsäußerungen waren Gaspards Sache nicht, doch er tat seinem künftigen Schwager den Gefallen und schloss ihn in die Arme.
    »Seit Monaten träume ich von diesem Moment«, erklärte der Tuchhändler. »Dafür stehe ich ewig in Eurer Schuld. Aber sagt, wie hat Eure Schwester meinen Antrag aufgenommen? War sie erfreut?«
    Gaspard sah keinen Sinn darin, dem Mann etwas vorzumachen. Früher oder später würde er die Wahrheit ohnehin erfahren. »Um ehrlich zu sein: nein. Aber welche Frau ist das schon, wenn der Tag kommt, an dem sie in die Ehe gehen muss?«
    Chastain war erbleicht. »Hat sie etwa Angst vor mir? Ich versichere Euch, ich bin ein sanftmütiger Mann und ein guter Christ – ich würde nie etwas tun, was sie unglücklich machen würde. Ihr habt mein Wort.«
    »Das weiß ich, Hernance.«
    »Kann ich etwas tun, um ihre Bedenken zu zerstreuen? Vielleicht sollten wir ein Treffen arrangieren, damit sie mich ein wenig kennenlernen kann, bevor wir über die Hochzeit sprechen.«
    »Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Gaspard, dem schon vor dem Gedanken an ein solches Treffen graute. Isabelle brächte es fertig, den armen Kerl mit ihrem unmöglichen Benehmen und ihrem Eigensinn zu vergraulen und die Familie zum Gespött der ganzen Stadt zu machen. »Dass sie Bedenken hat, ist doch ganz normal. Das wird sich legen, wenn sie erst Eure Gemahlin ist und erkennt, dass ich einen guten Mann für sie ausgewählt habe.«
    »Ja«, meinte der Tuchhändler. »Ja, so wird es gewiss sein.«
    »Reden wir über die Mitgift. Isabelle wird vierzig Pfund Silber in die Ehe mitbringen, außerdem ihre Kleider, ihren Schmuck und ihre Bücher. Den Gesamtwert ihrer Habe schätze ich auf fünfzehn bis zwanzig Pfund.«
    »Bücher? Eure Schwester kann lesen?«
    »Lesen und schreiben. Unser Vater hielt es für richtig, sie diese Kunst zu lehren. Ich hoffe, das stört Euch nicht.«
    »Nein. Nein. Keineswegs. Ich bin nur überrascht.«
    Das erlebte Gaspard beileibe nicht zum ersten Mal. Nur sehr wenige Frauen, die nicht dem Klerus oder Adel angehörten, konnten lesen und schreiben, hielten die meisten Männer es doch für überflüssig, wenn nicht gar schädlich, dass ihre Töchter derartiges Wissen erwarben. Ihr Vater hingegen hatte darauf bestanden, dass Isabelle es lernte, denn er hatte gewollt, dass sie dieselbe Bildung wie ihr Bruder erhielt. Wenngleich Gaspard grundsätzlich der Ansicht war, dass er richtig gehandelt hatte, so fragte er sich doch insgeheim, ob hier der Quell ihres Eigensinns zu suchen war. Etwa

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