Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
einem seligen Traum. Immerzu hatten sie sich gesagt, dass irgendwann alles gut werden würde, und Gaspards fruchtlose Bemühungen, einen Mann für sie zu finden, hatten sie in ihrer Träumerei bestärkt. In ihrer Angst hatten sie die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen. Dabei hatte Isabelle tief in ihrem Innern stets gewusst, dass es eines Tages so kommen würde.
Sie musste schleunigst versuchen, ihren Bruder von seinem Vorhaben abzubringen. Sie wusste, dass sie, selbst wenn sie Erfolg hatte, lediglich Zeit gewinnen würde, aber mehr konnte sie im Moment nicht tun. »Ich heirate Chastain nicht«, sagte sie entschieden. »Und wenn du dich auf den Kopf stellst.«
Mit einer heftigen Bewegung schob Gaspard seinen Stuhl zurück und stand auf. »Allmählich frage ich mich, ob deine Vorbehalte gegen ihn vielleicht andere Gründe haben.«
»Welche sollen das sein?«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass du nicht so widerspenstig wärst, wenn ich dir Michel als zukünftigen Ehemann präsentiert hätte.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Isabelle. Ahnte er etwas?
»Dass du immer noch etwas für ihn empfindest und insgeheim hoffst, ich würde mich eines Tages mit ihm aussöhnen und dich ihm zur Frau geben. Falls das der Fall sein sollte, habe ich schlechte Neuigkeiten für dich: Das wird nicht geschehen.«
»Michel bedeutet mir nichts mehr«, log sie. »Wenn du dich erinnerst: Ich habe seit anderthalb Jahren kein Wort mit ihm gesprochen.«
Wieder dieser bohrende Blick. Dann wandte sich Gaspard ab und begann in der Stube umherzugehen. Nein, er ahnte nichts. Aus ihm sprach lediglich seine übliche Bitterkeit, die inzwischen so weit gediehen war, dass er Michel die Schuld gab an allem , was ihm im Leben misslang.
»Wie dem auch sei«, sagte er. »Ich habe versucht, vernünftig mit dir zu sprechen und dich an meiner Entscheidung zu beteiligen. Da beides offensichtlich nicht möglich ist, weiß ich, was ich zu tun habe.«
»Was soll das heißen?«
»Morgen sage ich Chastain, dass ich einverstanden bin, und vereinbare mit ihm die Einzelheiten eurer Verlobung.«
»Gegen meinen Willen?«
»Du lässt mir ja keine andere Wahl!«, fuhr er sie an. »Wenn dir Chastain nicht gut genug ist, ist dir keiner gut genug, und ich suche in zehn Jahren noch nach einem Mann für dich!«
Er zwingt mich tatsächlich zur Heirat. Bis zuletzt hatte Isabelle gehofft, ihr Bruder würde nicht so weit gehen. »Du hast mir einmal versprochen, niemals eine Entscheidung zu treffen, die mich unglücklich macht. An Vaters Sterbebett hast du das versprochen.«
»Und der heilige Jacques ist mein Zeuge, dass ich mich redlich bemüht habe. Aber offenbar ist es mir nicht möglich, dich zufriedenzustellen. Also was, in Dreiteufels Namen, soll ich tun?«
»Lass mich meinen Ehemann selbst aussuchen.« Isabelle wusste, wie töricht, ja unerhört dieses Ansinnen war. Doch sie musste es sagen – sie konnte nicht anders.
Lutisse und ihre Mutter schnappten nach Luft.
»Kind, bist du von Sinnen?«, fragte Marie fassungslos.
»Das ist lächerlich, und du weißt das«, sagte Gaspard. »Ich bin das Oberhaupt dieser Familie – ich entscheide, wen du heiratest. Finde dich damit ab. Millionen andere Frauen mussten das auch, und so weit ich weiß, ist keine je daran gestorben.«
Er stolzierte aus der Stube und warf krachend die Tür ins Schloss.
Nebenan fing Flori an zu weinen.
Am nächsten Tag machte sich Gaspard in seinem besten Gewand auf den Weg zu Hernance Chastain.
Seit ihrer Auseinandersetzung gestern Abend hatte er seine Schwester kein einziges Mal gesehen. Auch zum Morgenbrot war Isabelle nicht erschienen. Lutisse sagte, sie habe sich in ihrer Kammer eingeschlossen. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was plötzlich in sie gefahren war. Gewiss, er hatte nicht erwartet, dass Chastains Heiratsantrag sie mit jauchzender Freude erfüllen würde. Aber dieser erbitterte Widerstand ging ihm über den Verstand. Isabelle stellte sich an, als verlange er von ihr, einen verkrüppelten, am Fleckfieber leidenden Abdecker zu ehelichen.
Nun, sie konnte nicht ewig so weitermachen. Irgendwann würde sie zur Vernunft kommen. Einstweilen würde Gaspard mit Chastain die Formalitäten der Eheschließung regeln. Da gab es einiges zu tun. Sie mussten sich über die Höhe der Mitgift und der Brautgabe einigen, was stets zähe Verhandlungen verhieß. Ein Termin für die Trauung musste gefunden werden – nicht einfach bei zwei Männern, die gut die
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