Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Freundlich und offen, wie es seine Art war, berichtete er ihrem Gastgeber vom Leben in Fleury, während die beiden Männer ihren Wein tranken. Der Kaufmann hörte aufmerksam zu und zeigte sich bestürzt über die Zustände in dem Bauerndorf.
»Ich habe gewusst, dass de Thessy hart mit seinen Hörigen umspringt, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist. Wenn man nur ein- oder zweimal im Monat in ein fremdes Dorf kommt, kriegt man nicht allzu viel vom Leben der Bauern mit. Jedenfalls war es die richtige Entscheidung, nach Varennes zu fliehen, Rémy. Unser Stadtherr, Bischof Jean-Pierre, ist mitunter auch ein Tyrann, aber er würde niemals einen seiner Bürger grundlos auspeitschen lassen.«
Olive kam herein. »Das Wasser ist fertig, Herr.«
Sie folgten der Köchin in die Waschküche, wo zwei hölzerne Badezuber standen. Das Wasser darin war so heiß, dass es in der kalten Luft dampfte. Sie zogen sich aus und kletterten hinein. Jean und Michel teilten sich einen Bottich, ihr Vater und Vivienne den anderen.
»Was ist das, Vater?« Jean deutete auf einen talgfarbenen Brocken, der bei den Bürsten auf dem Schemel lag.
Ihr Vater nahm ihn in die Hand und roch daran. »Seife, glaube ich. Man benutzt sie zum Waschen.«
Zögernd rieb er seinen Arm damit ein, und tatsächlich löste sich der Schmutz nun viel leichter. Er brach den Brocken entzwei und gab eine Hälfte Michel, der sich begeistert einrieb.
»Lass mich auch!«, verlangte Jean.
Sie bürsteten sich den Schmutz von der Haut und wuschen sich die Haare. Als sie fertig waren, trockneten sie sich mit groben Wolltüchern ab und begutachteten die Kleider, die Olive für sie bereitgelegt hatte. Sie ähnelten ihren alten Kitteln und Leibröcken, waren jedoch von besserer Qualität und obendrein sauber. Dafür nahm Michel gern in Kauf, dass ihm sein Überwurf etwas zu groß war.
Während sie die Schuhe anzogen, kam Herr Caron herein, in der Hand einen Kerzenhalter. »Ausgezeichnet. Nach einem Bad fühlt man sich gleich wie ein neuer Mensch, nicht wahr? Lasst eure Sachen hier liegen, Olive wird sie später waschen. Ich zeige euch, wo ihr heute Nacht schlafen werdet.«
Von der Küche gelangten sie in einen weiteren Raum – Wie viele Kammern hat dieses Haus noch?, fragte sich Michel –, in dem mehrere Betten standen. Ein Fenster wies auf den Hof. Es schneite wieder und dämmerte bereits.
»Hier wohnt das Gesinde«, erklärte Herr Caron. »Guy und Ayol sind mit meiner Frau und den Kindern bei meiner Schwester. Sie werden erst morgen zurück sein. Ihr könnt solange ihre Betten haben.«
Jean gähnte, als hätte ihn der Anblick der Schlaflager daran erinnert, wie müde er war. Ihr Vater sagte: »Es ist wohl am besten, ihr legt euch gleich hin. Ihr könnt ja kaum noch die Augen offen halten.«
»Noch nicht, Vater, bitte!«, bettelte Michel. »Es ist doch noch so früh.«
»In spätestens einer halben Stunde wird es dunkel. Außerdem wart ihr die ganze Nacht auf den Beinen. Na los, ins Bett mit euch. Ich will, dass ihr morgen ausgeruht seid.«
Murrend zog Michel sich aus. Jean hingegen kroch ohne seinen üblichen Protest unter die Decken und schlief auf der Stelle ein. Auch Vivienne schlummerte, kaum dass sie die Augen geschlossen hatte.
»Du warst heute sehr tapfer – ich bin stolz auf dich«, sagte Michels Vater und fuhr ihm durch das Haar. »Schlaf gut, mein Großer.«
Herr Caron und er verließen die Gesindekammer. Als Michel ins Bett kletterte, dachte er, dass er gewiss viel zu aufgeregt war, um schlafen zu können. Varennes war weitaus fremder und wunderbarer, als er es je für möglich gehalten hätte – allein in diesem Haus gab es so viel zu entdecken, so viele herrliche und kostbare Dinge zu bestaunen, dass er nicht genug davon bekam. Für einen Moment erwog er, sich heimlich aus der Kammer zu schleichen und sich in den anderen Zimmern umzusehen. Doch kaum lag er neben seinen Geschwistern im Bett, überkam ihn bleierne Müdigkeit. Wenn wir nur für immer bei Herrn Caron bleiben könnten, dachte er schläfrig. Schließlich wurden ihm die Lider schwer, und er fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Irgendwann weckte ihn das Knarren der Tür. Olive und die anderen Bediensteten kamen herein und stiegen geräuschvoll in ihre Betten. Die Köchin schnarchte so fürchterlich, dass Michel nicht wieder einschlafen konnte.
Er lauschte den Stimmen, die gedämpft aus dem benachbarten Saal drangen. Obwohl es inzwischen später Abend war, saßen sein
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