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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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die Stube und zerrte sie unsanft von der Kiste weg.
    »Du blöder Kerl!«, zeterte Isabelle. »Lass mich!«
    Obwohl Gaspard viel größer und stärker war, wehrte sie sich nach Kräften und boxte ihm in den Bauch. Dann rannte sie durch die Tür, streckte ihm die Zunge heraus und lief die Treppe hinunter, gefolgt von der Katze.
    Mit wütend zusammengepressten Lippen nahm Gaspard eine Holzfigur aus der Kiste und untersuchte sie gründlich von allen Seiten. Es war ein bemalter Ritter mit Lanze und Schild. Michel setzte sich neben Gaspard und warf einen Blick in die Kiste. Sie enthielt weitere Spielsachen, die herrlichsten, die er je gesehen hatte. Holzpferde, manche gar mit Reiter, eine kleine Armee geschnitzter Krieger, bunte Murmeln, Kreisel, ein Spielbrett mit Steinen.
    Michel streckte zögernd die Hand aus. »Darf ich?«
    Gaspard musterte ihn, schien zu dem Schluss zu kommen, dass er vertrauenswürdig sei, und nickte. Michel griff nach einem Krieger, der anders aussah als die übrigen. Anstelle eines Schwertes schwang er einen Säbel, und auf seinem Kopf saß kein Helm, sondern eine Art Mütze aus gewickelten Tüchern.
    »Das ist ein Sarazene«, erklärte Gaspard. »Sie sind Heiden und kämpfen im Heiligen Land gegen die Kreuzritter. Hier ist noch einer.«
    Die Holzfiguren waren ganz offensichtlich sein liebstes Spielzeug, und er begann, sie in Reih und Glied auf dem Boden aufzustellen. Alle Ritter, Krieger und Sarazenen hatten Namen, und zu jedem gab es eine Geschichte. Michel fühlte sich tief geehrt, dass Gaspard ihm seine Sachen zeigte, die noch nicht einmal seine Schwester anfassen durfte.
    »Stimmt es, dass ihr vor Guiscard de Thessy geflohen seid?«, fragte der schwarzhaarige Junge.
    »Ja.«
    »Hat er euch wirklich mit seinen Soldaten durch den Wald gejagt?«
    Michel erzählte ihm von ihrer Flucht aus Fleury. Er mochte Gaspard und wollte ihn beeindrucken, und so konnte er der Versuchung nicht widerstehen, die Wahrheit ein wenig auszuschmücken. Er erfand Bluthunde, die sie gehetzt hatten, und ein dramatisches Handgemenge zwischen seinem Vater und einem Kriegsknecht. Die Geschichte verfehlte ihre Wirkung nicht: Gaspard lauschte ihm gebannt.
    »Komm mit, ich zeige dir etwas«, sagte der schwarzhaarige Junge schließlich.
    Sie räumten die Figuren in die Kiste und stiegen die Treppe hinauf, die vom Flur aus weiter nach oben führte. Gaspard öffnete eine Tür, und sie betraten den Dachstuhl.
    »Hier lagert Vater Waren, wenn der Keller voll ist. Eigentlich darf ich nicht hineingehen«, fügte Gaspard mit einem Blitzen in den Augen hinzu.
    Es war ein unheimlicher Ort, fand Michel, dunkel, staubig und kalt. Stapel aus Kisten schufen ein verwinkeltes Labyrinth, und an den Dachbalken spannen schwarze Hausspinnen ihre Netze. In einer Ecke verschob Gaspard eine Kiste, und ein Loch in der Bretterwand kam zum Vorschein. Dahinter befand sich ein enger Hohlraum. Eine Decke lag darin, Kerzenstummel, ein Handbesen, weitere Holzfiguren.
    »Mein Geheimversteck«, erklärte Gaspard verschwörerisch. »Du musst bei der Seele deiner Mutter schwören, niemandem davon zu erzählen.«
    »Ich schwöre es bei der Seele meiner Mutter«, sagte Michel mit feierlich erhobener Hand.
    Gaspard schob die Kiste wieder vor das Loch. »Kannst du gut Schneebälle werfen?«
    »Natürlich.« Tatsächlich rühmte sich Michel, der beste Schneeballwerfer von Fleury zu sein.
    Gaspard führte ihn zu einer offenen Dachluke, aus der eine Hebevorrichtung mit Seilwinde ragte. Unter ihnen erstreckte sich der Domplatz mit dem wimmelnden Markt. Gaspard nahm etwas von dem Schnee, der neben dem Dachkran auf dem Boden lag, und formte einen Ball.
    »Jetzt pass auf!« Zielsicher warf er seinen Schneeball und traf einen Mönch, der vor Schreck seinen Weinbecher fallen ließ. Die Fäuste schüttelnd, schaute sich der Geistliche nach allen Seiten um und rief dabei Flüche, die seinem Stand ganz und gar nicht angemessen waren.
    Michel und Gaspard duckten sich hinter dem Hebekran und kicherten. Michel konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Das Gesicht, das der Mönch gemacht hatte!
    »Jetzt du«, sagte Gaspard.
    Michel machte einen formvollendeten Schneeball und hielt nach einem würdigen Ziel Ausschau. Sein Geschoss traf einen jungen, geckenhaften Kaufmann und riss ihm die Mütze vom Kopf.
    »Fantastisch!«, rief Gaspard, als die Schimpftiraden des Mannes zur Dachluke heraufhallten.
    Schneeball um Schneeball sauste hinunter zum Markt, während sie versuchten,

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