Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
die sich nach Ruhm und Ehre sehnten. So viele Männer wollten an dem Kreuzzug teilnehmen, dass Fabre manch einen abweisen musste und es sich erlauben konnte, nur die besten auszuwählen. Wer dem Aufgebot der Gilde angehörte, wurde schon jetzt wie ein Held gefeiert. Wirte schenkten den Männern kostenlos Bier und Wein aus. Die hübschesten Mädchen der Stadt machten ihnen schöne Augen und boten ihnen unverhohlen ihre Gunst an. Die Priester – zumindest jene, die Ulmans Zorn nicht fürchteten – priesen von der Kanzel ihren Mut. Pfarreien und Bruderschaften sammelten Geld, damit sich auch jene für den Kreuzzug rüsten konnten, die zu arm waren, um sich Waffen und eine Rüstung zu kaufen.
Michel schien der einzige Mensch im ganzen Bistum zu sein, der sich nicht auf jenen Tag freute. Viele dieser Männer gehen in den Tod, hätte er den verzückten Bürgern am liebsten zugerufen. Wollt ihr das denn nicht verstehen?
Am Abend, bevor das Gildenaufgebot nach Regensburg zog, fand Michel seinen Bruder im Warenkeller. Dort saß Jean im Schein einer Kerze und polierte ihre Waffen, die seit dem Ende der Fehde in einer Kiste verstaubten.
»Was wird das?«
»Das siehst du doch.«
Michel griff nach der Streitaxt.
»Gib das her«, sagte Jean gereizt.
»Wir räumen sie wieder in die Kiste.«
»Nein. Ich muss sie putzen.«
»Weswegen?«
»Denk mal scharf nach.«
Michel wusste nicht mehr genau, wann sie sich das letzte Mal wegen des Kreuzzugs gestritten hatten – es musste irgendwann im letzten Herbst gewesen sein. Danach hatte Jean nie mehr davon gesprochen, sich Raymond Fabre anzuschließen, weshalb Michel angenommen hatte, sein Bruder habe diesen wahnwitzigen Gedanken zu guter Letzt aufgegeben. »Du wirst morgen nicht mitgehen«, erklärte er entschieden.
»Du hast mir nichts zu sagen.«
»Ich bin verdammt noch mal dein Bruder!«
»Na und?« Jean begann den Helm zu polieren. »Ich bin vielleicht nicht so klug wie du, aber ich kann selbst entscheiden, was richtig ist.«
»Dieser Kreuzzug ist falsch «, rief Michel aufgebracht. »Wieso siehst du das nicht ein?«
»Jerusalem für die Christenheit zurückzugewinnen, hältst du also für falsch?«
»Dieser Wahnsinn, der gerade in Varennes stattfindet, ist es. Herrgott, Jean, dass dreißig Männer unserer Stadt in den Krieg ziehen, noch dazu freiwillig, ist schon schlimm genug, auch ohne dass du dabei mitmachst.«
Jean kniff die Lippen zusammen. Stur polierte er weiter den Helm.
Michel warf die Streitaxt in die Kiste, wo sie polternd landete. »Du könntest verletzt oder getötet werden.«
»Ich kann auf mich aufpassen. Außerdem nehme ich Talismane mit, die mich schützen.«
Michel lachte kurz und freudlos. »Das ist doch töricht.«
»Sag nichts gegen meine Amulette«, erwiderte Jean angriffslustig. »Sie sind mächtig. In der Fehde haben sie bewirkt, dass ich kein einziges Mal verwundet wurde. Dir haben sie auch geholfen.«
»Das ist keine Fehde, sondern ein Krieg. In einem fremden, feindlichen Land. Gegen den mächtigsten Herrscher des Orients.«
»Ich habe keine Angst vor Saladin. Nicht, solange Barbarossa uns anführt.«
»Barbarossa ist ein alter Mann.«
»Hör auf damit.« Jean fuhr auf. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du nicht so über den Kaiser reden sollst. Morgen breche ich mit Raymonds Männern nach Regensburg auf. Nichts und niemand wird mich daran hindern.«
Michel konnte nur noch stockend atmen, so heftig wütete der Zorn in seiner Brust. Er konnte nicht glauben, dass sein eigener Bruder so dumm war, so verbohrt, so unvernünftig. Aus seinem Mund drangen Worte, die er niemals hatte sagen wollen, die er vor diesem Abend nicht einmal gedacht hatte. Und doch waren sie plötzlich da. »Wenn du das tust«, flüsterte er, »bist du nicht mehr mein Bruder.«
»Was war das?«, fragte Jean gedehnt.
»Du hast mich schon verstanden.«
»Du verstößt mich, weil ich etwas tue, das dir nicht passt?«
Michel gab keine Antwort, stand stocksteif da, starrte ihn an. Er hatte nicht gewollt, dass es so weit kam. Aber jetzt war es zu spät. Was er gesagt hatte, konnte er nicht mehr zurücknehmen.
Ruckartig wandte Jean sich ab und sammelte die Waffen und Rüstungsteile auf. »Du hast mich lange genug herumkommandiert. Damit ist ein für alle Mal Schluss.« Er ging zum Ausgang des Kellers. An der Treppe drehte er sich noch einmal um. »Gaspard hatte die ganze Zeit recht: Was andere wollen, schert dich einen Dreck. Immer denkst du nur an dich. Du
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