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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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bist ein selbstsüchtiger, herrischer Tyrann.«
    Am nächsten Tag ging Jean auf den Kreuzzug.
    Die Kreuzfahrer wachten in der Gildenkapelle, verbrachten die Nacht im Gebet und nahmen bei Sonnenaufgang in einer feierlichen Zeremonie das Kreuz. Auf ihre Wämser hatten sie Stoffkruzifixe genäht, als Symbol ihres Gelübdes, erst heimzukehren, wenn Jerusalem befreit war. Alle trugen sie Panzerhemden und blitzende Waffen, als sie daraufhin zum Dom marschierten. Raymond Fabre und fünf weitere Männer hatten sich sogar Schlachtrösser gekauft und würden wie Ritter zu Pferd in die Schlacht ziehen. Das Aufgebot der Gilde brauchte den Vergleich mit der Kriegstruppe eines Edelmanns wahrlich nicht zu scheuen.
    Vor dem Dom hatte sich eine riesige Menschenmenge eingefunden, die sich mit einem rauschenden Fest von ihren Helden verabschiedete. Blütenblätter wirbelten durch die Luft. Wein und Bier flossen in Strömen. Fabre und die anderen Kreuzfahrer hatten sich vor dem Portal der Kathedrale aufgestellt und ließen sich feiern. Bürger jubelten ihnen zu, überreichten ihnen Glücksbringer und kleine Geschenke und überschütteten sie mit guten Wünschen.
    Michel beobachtete das bunte Treiben vom Fenster der Schreibstube aus. Seine Augen brannten, sein Kopf schmerzte, er fühlte sich durch und durch elend. Bis weit nach Mitternacht hatte er in einer Schenke gesessen und seinen Kummer in Wein ertränkt, und danach hatten ihn dunkle, fiebrige Träume gequält. Er wusste, er sollte hinuntergehen und sich von Yves, Gérard, Raymond und all den anderen Männern verabschieden, die er vielleicht nie wiedersehen würde. Doch sein Zorn, seine Enttäuschung waren zu groß.
    Warum, Jean? Gewiss, sein Bruder hatte es satt, in Michels Schatten zu stehen, er wollte endlich sein eigenes Leben leben. Aber doch nicht so! Wieso musste er ausgerechnet das tun, was Michel am meisten verabscheute?
    Michel ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass sich seine Fingernägel schmerzhaft ins Fleisch gruben. Dummer, sturer, verbohrter Jean …
    Raymond Fabre war in den Sattel gestiegen. »Abmarsch – nach Regensburg, zum Kaiser!«, donnerte er.
    »Hurra!«, brüllten die Männer mit in die Höhe gereckten Waffen. Unter dem Jubel der Bürger ritten und marschierten sie zur Hauptstraße, die Aprilsonne ließ ihre Helme funkeln, und ihre beschlagenen Stiefel stampften über den Lehmboden.
    Michel stand noch am Fenster, als sie längst fort waren. Irgendwann ging er hinauf zu seiner Schlafkammer, legte sich aufs Bett und starrte an die Balkendecke des Zimmers.
    »Ihr wolltet mich sprechen?«, fragte Bischof Ulman, als er mit raschelnder Soutane den großen Saal seines Palastes betrat.
    Aristide de Guillory stand breitbeinig an einem der Doppelfenster und beobachtete das Spektakel, das sich vor dem Dom abspielte und – Ulman dankte dem Herrn tausendfach – allmählich zum Ende kam. »Feiern können diese Städter«, bemerkte der Ritter. »Das muss man ihnen lassen.«
    »Dieser absurde Kriegszug ist eine Demütigung für uns beide«, sagte Ulman. »Ich will in meinem Haus kein Wort mehr darüber hören.«
    »Tröstet Euch mit dem Gedanken, dass mindestens die Hälfte von ihnen nicht zurückkommen wird. Schaut sie Euch doch an, diese Truppe von Helden. Bauern, Schuster, Tuchmacher – die meisten von ihnen haben noch nie ein Schwert in der Hand gehalten. Die Sarazenen werden einmal kurz und schmutzig lachen, wenn dieser Haufen auf dem Schlachtfeld auftaucht, und dann werden sie Hackfleisch aus ihm machen.« De Guillory wandte sich zu Ulman um. »Habt Ihr Eure Männer schon nach Regensburg geschickt?«
    »Sie sind vor einigen Tagen aufgebrochen.«
    »Ich nehme an, sie wurden nicht so freudig verabschiedet«, sagte de Guillory und lächelte dünn.
    »Meine Zeit ist kostbar, und ich schätze es nicht, wenn man sie mir stiehlt«, erwiderte der Bischof. »Sagt, was Ihr wollt, und fasst Euch kurz. Geht es um unseren Spitzel? Er hat noch nichts herausgefunden. Ich habe ihm die Anweisung erteilt, nichts zu überstürzen, damit er sich nicht verrät.«
    »Das weiß ich. Ich bin in Schwierigkeiten und hoffe, Ihr könnt mir helfen.«
    »Schwierigkeiten die Gilde betreffend?«
    »Vergesst doch einmal diese verdammten Kaufleute – Ihr seid ja geradezu besessen von ihnen. Nein, es geht um etwas anderes. Herzog Simon erwartet von mir, dass ich das Kreuz nehme«, erklärte de Guillory. »Und allmählich wird er ungeduldig – gestern hat er mir schon wieder einen Boten

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