Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
schon würde er Isabelle heiraten – die süße, wunderschöne, begehrenswerte Isabelle. Er konnte seine Ungeduld kaum noch zügeln. Wie viele ledige Männer war er stets gezwungen gewesen, zu einer Dirne zu gehen, wenn die Lust ihn überkam. Gewiss, die Hübschlerinnen verstanden sich darauf, einem Mann Erleichterung zu verschaffen. Doch zum einen kosteten ihre Dienste Geld, und zum anderen quälte ihn stets der Selbstekel, wenn er später das Hurenhaus verließ. Wie sehr sehnte er sich danach, endlich bei einer Frau liegen zu dürfen, ohne sich zu versündigen. Bei einer Frau, die ihm ganz allein gehörte, die er nicht mit zahllosen anderen Männern teilen musste. Der er einfach die Hand unter die Röcke schieben konnte, wenn er Verlangen verspürte …
Hundertmal, tausendmal in den vergangenen Wochen hatte er sich seine Hochzeitsnacht mit Isabelle ausgemalt. Zärtlich würde er sie ausziehen, sie in seinen Armen zum Bett tragen, ihre Schenkel spreizen und behutsam in ihre geheimste Körperöffnung eindringen, damit ihr der Verlust der Jungfräulichkeit keine unnötige Pein bereitete. Er hatte gehört, dass viele junge Frauen in ihrer ersten Liebesnacht nur wenig Vergnügen empfanden. Doch Hernance war sich sicher: Bei Isabelle und ihm würde es anders sein. Er war ein sanfter Mann. Er würde ihr Zeit lassen, würde ihren Körper, ihre vollen Brüste liebkosen und ihr alle Wünsche von den Augen ablesen, sodass sie bald vor Lust stöhnen würde.
Wie immer, wenn er sich seinen Fantasien hingab, stieg heiße Erregung in ihm auf. In knappen Worten gab er seinen Knechten Anweisungen, bevor er nach oben zu seiner Kammer eilte. Rasch drehte er das Kruzifix mit dem Gesicht zur Wand, damit der Gekreuzigte nicht sehen musste, was er jetzt tat, hob sein Gewand und umschloss seine harte Männlichkeit mit der linken Hand … Wenige Augenblicke später spritzte sein Samen auf den Boden, und er unterdrückte ein Stöhnen. Kaum war die Lust abgeflaut, erfasste ihn der Selbsthass. Wie jämmerlich, wie erniedrigend war es doch, sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Nachdem er die Spuren seiner Sünde beseitigt hatte, fiel er auf die Knie und flehte den Herrn um Vergebung an.
Bald, bald würde all das ein Ende haben. Dann wartete Nacht für Nacht Isabelle in seinem Bett.
Seit Gaspard entschieden hatte, Isabelle Hernance Chastain zur Frau zu geben, sprach er kaum noch ein Wort mit ihr.
In jenen Wochen war er noch mürrischer als früher. Meist verkroch er sich in seiner Schreibstube, zählte Geld und plante die nächsten Geschäfte. Wer ihn störte, den blaffte er an. Beim Essen beklagte er sich unentwegt über Bischof Ulman, die Ministerialen und die Schwachköpfe in der Gilde, allen voran Michel.
Wie hast du dich verändert, Bruder?, dachte Isabelle eines Abends. Früher hatte seine Verbitterung sie traurig gemacht, inzwischen war sie nur noch wütend auf ihn. Umso besser, es würde ihr den Abschied erleichtern.
Noch lange nach dem Gespräch mit Michel hatte sie sich gefragt, ob sie es ertragen würde, ihre Familie zu verlassen. Inzwischen wusste sie, sie würde es nicht ertragen zu bleiben. Natürlich würden ihr Lutisse, Flori, ihre Mutter und vermutlich sogar Gaspard schmerzlich fehlen, doch was hatte sie für eine Wahl? Wenn sie Chastain heiratete, würde ihre Seele sterben. Nicht auf einen Schlag, aber jeden Tag ein kleines bisschen mehr, bis sie bald nur noch eine Hülle wäre, innerlich leer und tot. Und alles nur, damit sie ihre Familie nicht verlöre? Nein. Dieser Preis war ihr zu hoch.
So sehnte sie den Tag herbei, an dem sie endlich mit Michel fortgehen würde. Als sie hörte, dass Chastain wieder da war, zog sie sich in ihre Kammer zurück und betete, auch Michel möge bald heimkehren, gesund und wohlbehalten.
Noch zwanzig Tage bis Fronleichnam.
Sie zählte bereits die Stunden.
Als die Familie zwei Tage später beim Abendbrot saß, war Gaspard so wortkarg und verschlossen wie eh und je. Kaum hatte der Letzte am Tisch aufgegessen, stand Isabelle auf und wollte gehen, denn sie ertrug diese Stimmung keinen Augenblick länger.
»Setz dich wieder hin. Ich habe dir etwas zu sagen«, befahl Gaspard ihr harsch.
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir«, gab sie zurück. »Ich bin nicht deine Magd.«
»Ich war heute Mittag bei deinem zukünftigen Gemahl«, fuhr er ungerührt fort. »Wir sind übereingekommen, eure Hochzeit vorzuverlegen.«
»Das sind ja großartige Neuigkeiten.« Ihre Mutter strahlte. »Wie kam
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