Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
düsterer Miene. »Damit er seiner Gemahlin an Macht und Land ebenbürtig ist.«
»Aber er wollte ihn doch zu seinem Marschall ernennen, wenn er in die Familie einheiratet!« Tatsächlich hatte Michel nicht wenige Hoffnungen an de Guillorys Vermählung mit Yolande Châtenois geknüpft, als er zum ersten Mal von Herzog Simons Plänen gehört hatte. Er hatte sich ausgerechnet, wenn de Guillory erst Simons Marschall wäre, würde er nur noch selten in der Gegend weilen, und sie könnten weiterhin unbehelligt ihren Geschäften nachgehen. Und nun das.
»Offenbar hat der Herzog anders entschieden«, erwiderte Duval.
Sie warteten vor dem Palast, in der bangen Hoffnung, bald mehr über Herzog Simons Entscheidung zu erfahren. Gegen Mittag trat ein Ausrufer auf den Balkon und wandte sich an das Stadtvolk. Was der Mann verkündete, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen:
Herzog Simon Châtenois gab seinem Vasallen Aristide de Guillory Varennes-Saint-Jacques zum Lehen, mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Mit sofortiger Wirkung gehörten de Guillory das Zoll- und Marktrecht, die Hoheit über alle städtischen Steuern und Abgaben sowie diverse andere Privilegien, die bisher die Ministerialen in Simons Namen verwaltet hatten. Ferner gingen die niedere Gerichtsbarkeit und der Strafvollzug vom Schöffenkollegium auf den Ritter über. Im Gegenzug verpflichtete sich de Guillory, die Stadtmauer weiterzubauen.
Herzog Simon behielt nur wenige Rechte innerhalb der Stadtgrenzen, darunter die Blutgerichtsbarkeit und das Münzwesen. Damit er seinen Einfluss auf Varennes nicht gänzlich verlor, verblieben die Ministerialen in seinen Diensten und mussten nicht de Guillory die Treue schwören. Einige Ministerialen, etwa Jaufré Géroux, behielten ihre Ämter und Privilegien; andere mussten ihre Pfründe wegen der Neuordnung der städtischen Verwaltung abgeben. Davon waren hauptsächlich die Gebrüder Nemours als städtische Zöllner und Tancrède Martel betroffen, der das Amt des Schultheißen einbüßte – da de Guillory nun Herr über die niedere Gerichtsbarkeit war und die Stadtbüttel befehligte, brauchte Varennes keinen obersten Ordnungshüter mehr. Herzog Simon entschädigte Martel für den Machtverlust mit Geld und Land. Jacques und Aimery Nemours, die den Zoll abtreten mussten, erhielten die Pachtgebühr zurück, die sie einst dafür gezahlt hatten, zuzüglich eines großzügigen Aufschlags.
Das Schöffenkollegium blieb bestehen, allerdings wurden seine Befugnisse stark beschnitten. Statt Recht zu sprechen und die Stadt zu verwalten, stand es de Guillory nur noch beratend zur Seite. Die zwölf Ministerialen, die ihm angehörten, bekamen zum Ausgleich Ländereien in Oberlothringen, denn Simon wollte sich ihre Treue erhalten.
Am Ende des Tages stand fest: Einen derart drastischen Einschnitt in die Traditionen Varennes’ hatte es noch nie gegeben. Was viele Jahrhunderte lang das Leben der Bevölkerung geregelt hatte, galt von heute auf morgen nicht mehr. Aus der ehrwürdigen Bischofsstadt war ein Ritterlehen geworden. Und an seiner Spitze stand Aristide de Guillory, der von nun an über Wohl und Wehe der Bewohner gebot.
»Das ist das Ende«, murmelte Le Roux, und niemand widersprach ihm.
Nach der Abreise seines Lehnsherrn nahm sich Aristide Zeit für einen Rundgang durch den einstigen Bischofspalast und ließ sich von einem Bediensteten die Räumlichkeiten zeigen. Im großen Saal schließlich setzte er sich, legte die Füße auf den Tisch und betrachtete versonnen den Domplatz.
Der Palast gefiel ihm. Ulman, Gott hab ihn selig, hatte wahrlich zu leben verstanden. Vielleicht würde er künftig die Wintermonate hier verbringen, statt in seiner zugigen, kalten Burg draußen in den Hügeln.
Allmählich legte sich seine Wut darüber, dass Simon sein Wort gebrochen und ihm anstelle des einträglichen und glanzvollen Marschallamtes ein neues Lehen gegeben hatte. Herr einer Stadt zu sein bot einem Mann mit seinen Fähigkeiten gewiss vielfältige Möglichkeiten, selbst wenn es sich bei der fraglichen Stadt um ein unbedeutendes Nest handelte. Aristide war jedenfalls entschlossen, das Beste aus seiner Lage zu machen. Er hatte ohnehin keine andere Wahl, als Simons Entscheidung zu akzeptieren.
Allerdings hätte er zu gerne gewusst, warum der Herzog von seinem ursprünglichen Vorhaben abgewichen war. Sein Lehnsherr hatte sich nur vage dazu geäußert und angedeutet, man habe ihn an ältere Verpflichtungen erinnert,
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