Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
die zitternde Hand auf den Dolch an seinem Gürtel. »Ihr seid genauso ein Rohling wie Euer Bruder. Géroux hatte recht: ein Bauer durch und durch. Verlasst sofort diese Halle, oder meine Knechte setzen Euch auf die Straße.«
Aus den Augenwinkeln sah Michel, dass sich an der Tür mehrere Männer drängten, bereit einzuschreiten, falls de Brette ein Leid angetan wurde. Er wusste, was er zu tun hatte. Er schritt zur Tür, wo er sich noch einmal umwandte. »Wisst Ihr, warum Géroux mich an sein Sterbebett rufen ließ? Er bedauerte, was er mir angetan hat – all die Lügen, Intrigen und Sünden. Die Höllenfurcht brachte ihn schier um den Verstand. Euch, de Brette, wird es eines Tages genauso ergehen.«
Der Ministeriale schluckte kaum merklich. »Solange ich etwas in Varennes zu sagen habe, werdet Ihr niemals Aufnahme in der Gilde finden!«, rief er schrill. »Euer jämmerliches Geschäft wird untergehen, und Ihr – Ihr werdet bald um Almosen betteln!«
Michel stieß einen Knecht zur Seite und ging.
»Und Ihr seid wirklich sicher, dass dies die richtige Entscheidung ist?«, fragte Isoré Le Roux einige Stunden später, als Michel, er, Duval und Melville in einer Schenke an der Grande Rue saßen und heißen Würzwein tranken.
»Was bleibt mir anderes übrig?«, erwiderte Michel. »In Varennes kann ich kein Geschäft mehr betreiben. Und selbst wenn ich es könnte, wäre da immer noch de Guillory. Seit wir nach Metz ausgewichen sind, hat er uns zwar in Ruhe gelassen, aber wer weiß, was er sich nächstes Jahr einfallen lässt, um mir das Leben schwerzumachen.«
»Metz ist ein schwieriges Pflaster für einen auswärtigen Kaufmann«, gab Charles Duval zu bedenken.
»Wem sagt Ihr das? Aber wenigstens bin ich dort bereits Mitglied einer Gilde und muss nicht um Aufnahme betteln.«
Seine Freunde wussten nichts zu sagen, um seine Sorgen zu entkräften. Sie nickten betrübt.
»Was werdet Ihr jetzt tun?«, erkundigte sich Pierre Melville.
»Bevor der Winter kommt, verkaufe ich das Haus und ziehe mit meiner Habe nach Metz. Ich denke, dass ich außerhalb der Stadtmauern ein billiges Haus finde, wo ich wohnen kann, bis ich mir ein größeres im Stadtkern oder am Place de Vésigneul leisten kann. Neue Knechte muss ich glücklicherweise keine suchen – Louis und Yves wollen mich begleiten.«
»Was ist mit Eurer Schwägerin?«, fragte Le Roux. »Geht sie auch mit?«
»Adèle möchte bei ihrer Familie bleiben. Ihre Trauer ist noch zu groß. Sie fühlt sich nicht stark genug für einen Neuanfang in einer fremden Stadt.«
Schweigend tranken die Freunde. Auf der anderen Seite des Schankraums unterhielt ein fahrender Musikant die Gäste, indem er auf seiner Schalmei spielte. Die Weise war viel zu fröhlich für diesen grauen, trostlosen Nachmittag.
»Können wir Euch irgendwie unterstützen?«, fragte Duval.
»Ihr habt bereits mehr als genug für mich getan, Charles«, sagte Michel lächelnd. »Kämpft lieber für Eure Gilde, damit die Ministerialen sie nicht endgültig zugrunde richten.«
»Ihr werdet uns fehlen«, sagte Melville.
»Ihr mir auch.«
»Können wir hoffen, dass Ihr eines Tages nach Varennes zurückkehrt?«, fragte Le Roux.
»Vielleicht«, sagte Michel unbestimmt. »Wer weiß, was die Zukunft bringt.« Er leerte seinen Becher, stand auf und griff nach seinem Mantel. »Ich muss jetzt gehen. Vor mir liegt viel Arbeit.«
Seine Freunde erhoben sich und umarmten ihn der Reihe nach.
»Habt Dank, Michel«, sagte Charles Duval. »Für alles.«
V IERTES B UCH
Duo reges
November 1197
bis September 1199
November und Dezember 1197
E RZBISTUM T RIER
G emächlich ruckelten die drei Ochsenwagen die alte Römerstraße entlang, jeder einzelne schwer beladen mit Kisten, Fässern und Wollballen. Fauliges Laub bedeckte das Pflaster und füllte die Schlaglöcher. Die Eichen und Buchen, die es schon vor Wochen abgeschüttelt hatten, standen dicht an dicht und gewährten nur selten einen Blick auf die Mosel, obwohl sie keinen Steinwurf vom Wegesrand entfernt dahinströmte. Ihre Äste und Zweige krallten sich wie Skelettfinger in den trüben Novemberhimmel.
Michel saß auf Artos, seinem dreijährigen Zelter, und ritt neben Yves, der den vordersten Wagen lenkte. Die anderen beiden Fuhrwerke folgten ihnen dichtauf, und sechs schwer bewaffnete Söldner flankierten den kleinen Tross. Michel hatte seinen Knechten und den Kriegern befohlen, stets dicht beisammenzubleiben. Geächtete trieben sich in den Wäldern herum, hatte
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