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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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man ihm in Trier gesagt, und er wollte kein unnötiges Risiko eingehen.
    »Sieht so aus, als hätten wir Glück mit dem Wetter«, meinte Yves und blinzelte zum Himmel hinauf.
    »Abwarten. Wir sind noch nicht zu Hause.«
    »Nein, ich spür’s in den Knochen. Glaubt mir, Herr. Schnee gibt’s dieses Jahr frühestens zum zweiten Advent, und stürmen wird es nicht vor Martini. Mein Wort drauf.«
    »Wenn du es sagst, Yves.« Michel unterdrückte ein Lächeln. Yves’ Wettervoraussagen waren in etwa so zuverlässig wie die Prophezeiungen einer okzitanischen Wahrsagerin, aber das hielt den Knecht nicht davon ab, jeden Tag im Brustton der Überzeugung neue Vorhersagen zu treffen.
    Michel bog seine müden Schultern nach hinten und verzog das Gesicht, als leichter Schmerz sein Rückgrat hinabrieselte. Eine lange und anstrengende Reise lag hinter ihnen, und er sehnte sich mit jeder Faser seines Leibes nach der Behaglichkeit seines Hauses. Wenigstens hatten sich die Strapazen der letzten Wochen bezahlt gemacht. In der jungen und aufstrebenden Handelsstadt Lübeck hatte man ihm die Handelsgüter aus Metz nur so aus den Händen gerissen. Von einer Hälfte seiner beträchtlichen Gewinne hatte er Waren gekauft, die in Lothringen selten und begehrt waren: norddeutsches Bier, Pelze aus Livland, Wolle und Zinn aus England. Die andere Hälfte des Silbers lag sorgfältig verstaut in einer Truhe unter dem Wagenbock, auf dem Yves saß. Der Knecht hatte geschworen, sie mit seinem Leben zu verteidigen.
    Je weiter sie sich von Trier entfernten, desto urwüchsiger wurde der Wald. Bald bildeten die Äste ein dichtes Gewirr, das sich wie eine Gewölbedecke über der Straße wölbte. Zu allem Überfluss kam Nebel auf und legte sich klamm auf ihre Mäntel und Umhänge. Michel schwelgte in Fantasien von Kaminfeuern und Krügen mit dampfendem Würzwein, während er neben dem Ochsenwagen herritt.
    Plötzlich scheute Artos. Der Zelter legte die Ohren an und schnaubte.
    »Beruhige dich.« Michel streichelte dem Tier den Hals. »Es ist doch nur Nebel. Nichts, wovor du Angst …«
    Er verstummte, als ein Mann aus dem Unterholz auf die Straße trat. Der Kerl trug einen aus Flicken und Pelzfetzen zusammengestückelten Kittel, löchrige Stiefel und einen Strick um die Hüften. Fettiges Haar fiel ihm auf die Schultern und rahmte einen hageren Schädel ein. In der Rechten hielt er eine kurze Axt, in der Linken ein Messer. Furchterregender noch als die schartigen Waffen war sein Gesicht: In beiden Wangen klafften vernarbte Löcher, durch die man die Zähne sehen konnte. Man hatte dem Mann einst mit einem glühenden Eisen die Wangen durchstoßen, um ihn für Brandstiftung oder ein anderes schweres Verbrechen zu strafen.
    »Gebt uns euer Geld«, sagte er, »und wir schonen euer Leben.«
    Wir?, durchfuhr es Michel. Er wusste, dass er nun schnell handeln musste. Unauffällig schaute er zum Befehlshaber der Söldner. Der Krieger hatte verstanden und nickte.
    »Los!«, schrie Michel und gab Artos die Sporen. Yves und die anderen beiden Knechte trieben brüllend die Ochsen an, und die Söldner folgten den Wagen im Laufschritt. Doch so leicht ließen sich die Wegelagerer nicht überrumpeln. Plötzlich schwirrten Pfeile und Armbrustbolzen durch die Luft. Einer der Söldner wurde in die Brust getroffen und prallte seitlich gegen einen Wagen, ehe er zu Boden stürzte. Männer brachen aus dem Gestrüpp, Gestalten, die noch abgerissener und zerlumpter aussahen als der Kerl auf der Straße. Sie griffen von allen Seiten an, sodass der Tross abrupt zum Stehen kam. Yves langte nach seiner Axt, stand breitbeinig da und schwang die Waffe mit beiden Händen.
    »Schützt die Wagen!«, brüllte der Hauptmann der Söldner.
    Bevor Michel sein Schwert aus der Scheide riss, sah er noch, dass beinahe jeder der Räuber entstellt und verkrüppelt war. Einem fehlte eine Hand, dem nächsten ein Ohr, einem dritten ein Auge. Dann bestand seine Welt nur noch aus Geschrei, zuckenden Bewegungen und dem Klirren der Waffen.
    Artos war kein Schlachtross; er geriet in dem Getümmel beinahe in Panik. Irgendwie gelang es Michel, ihn ruhig zu halten und gleichzeitig einer Pike auszuweichen, deren rostige Spitze von links auf ihn zuschoss. Der Kerl, der ihn angriff, trug eine Mönchskutte, und auf seiner Brust hüpfte ein hölzernes Kruzifix. Auf seiner Stirn prangte das Brandmal eines Galgens: ein verurteilter Verbrecher wie der Anführer der Bande.
    Der Mönch versuchte, ihn aus dem Sattel zu

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