Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
geben.
März und April 1198
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
D rei Tage nach Palmsonntag verließ Michel zum letzten Mal sein Haus am Place de Chambre und zog nach Varennes-Saint-Jacques.
Die meisten seiner Hausbedienten blieben in Metz, wo ihre Familien lebten. Lediglich Louis und Yves, die begierig waren, nach all den Jahren endlich in ihre Geburtsstadt zurückzukehren, begleiteten ihn. Yves steuerte das Salzschiff, das den größten Teil von Michels Besitztümern geladen hatte; Louis führte die beiden Ochsen, die den Kahn gegen die Strömung zogen. Michel saß auf dem Wagen, vor den er seine Saumpferde gespannt hatte – auf der Ladefläche türmte sich der Rest seiner Habe. Artos hatte er hinten angebunden, und der Zelter trottete den ganzen Weg gemächlich hinter dem Fuhrwerk her.
In Varennes bezog er Catherine Partenays altes Haus an der Rue de l’Épicier zwischen Dom und Unterstadt. Nach Catherines Tod war das Anwesen an ihre Pfarrei gefallen, die es ein knappes Jahr später an ein Mitglied des Domkapitels verkauft hatte. Da der Geistliche inzwischen einen befestigten Herrensitz außerhalb Varennes’ erworben hatte, wo er sich das ganze Jahr über aufhielt, hatte er keine Verwendung mehr für das Stadthaus. Michel war mit ihm ins Geschäft gekommen und hatte das Gebäude schließlich für einhundertsechzig Pfund Silber übernommen.
Am Abend seiner Ankunft machte er einen langen Spaziergang durch die Stadt, besuchte den Domplatz, die Grande Rue, sogar den Fischmarkt in der Unterstadt. Wie sehr ihm all die vertrauten Ecken und Winkel gefehlt hatten! Gleichwohl ließ sich nicht leugnen, dass sich Varennes in den letzten Jahren verändert hatte, und nicht zu seinem Vorteil. Abgesehen von der neuen Wehrmauer, die die Stadt nun lückenlos schützte, gab es wenig, was das Auge erfreute. Die Zahl der Bettler, die vor den Abteien und Kirchenportalen herumsaßen, hatte deutlich zugenommen. Viele Handwerksstuben, die Michel von früher kannte, hatten geschlossen. In jeder Straße standen Häuser und Hütten leer und verfielen. In wenigen Jahren war es de Guillory gelungen, Varennes das Leben auszusaugen.
Bevor es dunkel wurde, ging Michel zum Friedhof von Saint-Pierre. Trotz ihres Alters blühten die drei Birken, und er schritt unter ihren ausladenden Ästen zu den Gräbern seines Vaters und seines Bruders. Zu seiner Freude waren die beiden Grabsteine sauber und frei von Flechten und Moos. Isoré Le Roux und Charles Duval hatten ihr Versprechen gehalten und sie regelmäßig gepflegt.
Michel kniete nieder und sprach ein Gebet für ihre Seelen. Dann löste er einen Beutel von seinem Gürtel und nahm ein Amulett heraus, eine kleine Schriftrolle mit Psalmen.
»Ich habe es an meinem letzten Tag in Metz gekauft«, sagte er. »Auf dem Place de Vésigneul gibt es ein altes Weib, das Talismane und Wundertränke feilbietet. Ich dachte, es könnte dir gefallen. Obwohl es natürlich nicht so schön ist wie dein Nazar .« Er steckte das Amulett in die Erde von Jeans Grab. »Pass im Gegenzug ein bisschen auf mich auf, ja? Und du auch, Vater. Hier gibt es viel zu tun, und ich kann jede Hilfe brauchen. Legt beim heiligen Jacques ein gutes Wort für mich ein. Ich schätze, ihm gefällt auch nicht, was aus seiner Stadt geworden ist.«
Er stand auf, klopfte sich die Erde von den Knien und bekreuzigte sich, bevor er in der Abenddämmerung nach Hause ging.
Zu Ostern hielten sich viele Schwurbrüder der Gilde in Varennes auf und feierten mit ihren Familien. Bei der Messe im Dom traf Michel Pierre Melville, Charles Duval und Isoré Le Roux, die ihn freudig begrüßten. Besonders Duval war überglücklich, dass er zurückgekehrt war. »Willkommen daheim, alter Freund«, sagte er und schloss Michel in die Arme.
Das Osterfest verbrachte er mit Adèle, Jeans Witwe. Nach zwei langen Jahren der Trauer hatte die junge Frau wieder geheiratet, den Schmiedemeister Jean Caboche, der immer noch Oberhaupt seiner Bruderschaft war. Michel und Caboche verband seit jeher eine lockere Freundschaft, und der Schmied begrüßte ihn herzlich in seinem Haus. Seine Nichte Azalaïs war nun fünf Jahre alt und ihrer bildschönen Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Es freute Michel zu sehen, dass Caboche das Mädchen wie eine eigene Tochter liebte.
Ostern ging, und der April kam mit strahlendem Sonnenschein und lauen Abenden. Das ganze Moseltal war erfüllt vom Duft knospender Blüten und dem Zwitschern der Vögel. Als die Feierlichkeiten zu Ende waren
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