Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Michel dort eintraf, hatte sich bereits eine kleine Menschentraube um den unglücklichen Kaufmann gebildet. Albert war offenbar eben erst in Varennes eingetroffen. Er saß auf seinem Ochsenwagen und erzählte von seinem Unglück. Zu Michels Erleichterung war er unverletzt, was man von seinen Knechten nicht behaupten konnte. Zwei der Männer kauerten bleich auf der Wagenpritsche, einer trug einen Verband um die Stirn, der andere einen um den Arm. Ein Medicus kümmerte sich um sie.
Michel bat Albert, mit seinem Bericht noch einmal von vorne anzufangen.
»Wie Ihr wisst, war ich in Köln, um Alaun, Tuchfarben und englische Wolle einzukaufen. Bis Trier ging alles gut, und ich dankte schon Gott für mein Glück. Aber zu früh gefreut. Kurz vor der Grenze haben sie mich erwischt. Kriegsknechte. Norddeutsche Söldner. Wahrscheinlich Leute des Gegenkönigs. Es war ein Hinterhalt. Sie kamen aus dem Nichts, schlugen uns nieder und raubten meine Habe – die Waren, das Geld, einfach alles. Nur den Wagen haben sie mir gelassen. Beim heiligen Jacques, wäre ich nur über Flandern und Frankreich gefahren, wie ich es eigentlich vorhatte.«
Inzwischen waren weitere Kaufleute eingetroffen, darunter Duval. »Die Gilde wird Euch helfen, René. Zumindest die Hälfte Eurer Verluste können wir übernehmen.«
»Habt Dank, Charles.«
»Wie soll das weitergehen?«, rief Girard Voclain. »Dieser verdammte Krieg wird uns noch alle ruinieren. Wir müssen endlich etwas unternehmen!«
Andere bekundeten lautstark ihre Zustimmung.
»Gehen wir in die Gildehalle«, sagte Duval und winkte einen seiner Knechte zu sich. »Sag Nemours und den anderen, dass wir uns versammeln.«
Kurz darauf traten die Schwurbrüder im Saal zusammen. Nachdem sie geklärt hatten, welchen Geldbetrag Albert zur Linderung seines Unglücks erhalten würde, kam die Sprache auf den Krieg. Voclain redete sich in Rage und wiederholte seine Forderung, die Gilde müsse etwas unternehmen.
»Und was?«, fragte Baffour. »Gegen das, was im Osten geschieht, sind wir machtlos. Nicht einmal den großen Gilden von Metz, Köln und Regensburg ist es gelungen, zwischen Philipp und Otto zu vermitteln, und weiß Gott, sie haben alles versucht.«
»Es wird so bald keinen Frieden geben«, stimmte Michel ihm zu. »Damit müssen wir uns abfinden. Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als den Handel mit den Fürstentümern im Kernland des Reiches vorerst einzustellen.«
»Es ist ja nicht nur das Reich«, sagte Voclain. »Ich plane schon länger eine Reise nach Ungarn und Polen. Dort gibt es Silber, Blei und Eisenerz im Überfluss – die reinste Goldgrube. Aber wie soll ich da hinkommen? Die Handelswege sind dicht. Auf manchen Straßen ist man seines Lebens nicht mehr sicher.«
»Wir müssen unsere Geschäfte gänzlich nach Westen verlagern, nach Frankreich und Burgund. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.«
»Leider sind wir nicht die Einzigen, die ihr Heil im Westen suchen«, sagte Voclain. »Flamen, Kölner, Friesen – alle wollen sie Geschäfte mit den Franzosen machen, weil ihnen zu Hause die Märkte wegbrechen. Die Champagne wird überschwemmt mit Waren aus dem Osten. Das drückt die Preise. Salz hat schon wieder an Wert verloren.«
»Ich weiß«, entgegnete Michel. »Aber eine niedrige Gewinnspanne ist immer noch besser, als ausgeraubt zu werden.«
»Ich habe während meiner Reise lange darüber nachgedacht«, sagte René Albert. »Wir schimpfen immer nur auf den Krieg. Warum versuchen wir nicht, ihn uns zunutze zu machen?«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Duval.
»Vielleicht könnten wir mit Philipp von Schwaben ins Geschäft kommen. Wir bieten ihm Unterstützung für seinen Krieg an, und im Gegenzug soll er uns Privilegien gewähren, etwa ein Mitspracherecht bei den Marktabgaben. So könnten wir endlich de Guillorys Macht beschneiden.«
Michel bemerkte, dass Sancere und Voclain die Ohren spitzten. Er musste einschreiten, bevor sich diese törichte Idee in ihren Köpfen festsetzte. »Nein«, sagte er. »Solange ich an dieser Tafel sitze, wird kein Bürger Varennes’ in diesem Krieg kämpfen. Er ist schlimm genug, auch ohne dass wir uns daran beteiligen.«
Glücklicherweise kam Duval ihm zu Hilfe. »Davon abgesehen kämen wir in Teufels Küche, wenn wir uns auf Philipps Seite schlügen. Herzog Simon hat entschieden, für die Dauer des Krieges neutral zu bleiben – Gott segne ihn dafür. Das gilt auch für seine Untertanen und Vasallen, für de Guillory und
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