Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
als er sie abermals an sich ziehen wollte. »Keine Dummheiten mehr. Diesmal machen wir alles richtig.«
Es waren nur noch fünf Tage bis zur Hochzeit, doch sie erschienen Michel so lang wie ein halbes Leben.
Sie heirateten zwei Wochen nach Ostern, an einem kühlen Morgen, an dem sich die Sonne nur gelegentlich zwischen den Wolken zeigte. Die Zeremonie leitete Pater Jodocus, Michels Beichtvater, inzwischen ein steinalter Greis, der trotz seines krummen Rückens und der fleckigen Haut noch dieselbe Würde ausstrahlte wie vor fünfzehn Jahren. Die Hochzeitsgesellschaft hatte sich vor der Kirche Saint-Pierre eingefunden und lauschte den Gesängen der Ministranten, während Michel und Isabelle Hand in Hand in der Mitte des Kreises standen. Gerade einmal vierzig Gäste waren gekommen: Vivienne, Bernier und die Kinder, Michels Schwurbrüder mit ihren Ehefrauen, seine Hausbedienten, Magistra Frédégonde, Pétronille und vier weitere Beginen sowie Adèle, ihr Mann Jean Caboche und ihre Familie, die Tolberts. Von Isabelles Familie war niemand anwesend. Ihre Mutter war vor zwei Jahren gestorben, Lutisse hatte einen Kaufmann geheiratet und war letzten Sommer mit ihm ins ferne Aachen gezogen. Und Onkel Eberold hatte sie nicht eingeladen. Sie wollte ihn nie wieder sehen.
Vierzig Gäste war nicht viel für die Hochzeit eines reichen Kaufmanns und Patriziers. Doch Michel und Isabelle hatten es nicht anders haben wollen. Ein verschwenderisches Fest mit zweihundert Gästen, Prunk, Musik und einem üppigen Bankett wäre nicht angemessen gewesen, nach allem, was geschehen war.
So war es eine schlichte, aber fröhliche Feier. Nachdem Pater Jodocus dem Paar seinen Segen erteilt hatte, zog die Gesellschaft zu Michels Haus, wo sie ein Festmahl erwartete. Louis hatte sich eigens für die Hochzeit seines Herrn eine neue Flöte geschnitzt und spielte den ganzen Nachmittag alte Weisen und Frühlingslieder. Man trank, lachte, tanzte und erzählte Geschichten. Rémy saß bei den Söhnen der Schwurbrüder und sah in seinem neuen Gewand und der Mütze beinahe selbst wie ein junger Kaufmann aus. Duvals und Le Rouxs Söhne, die ein paar Jahre älter waren, hatten ihn sogleich in ihrer Mitte aufgenommen und behandelten ihn, als wäre er schon ewig ihr Gefährte. Er scherzte und trank mit seinen neuen Freunden, und ihn zum ersten Mal seit Monaten aus vollem Hals lachen zu hören, tat gut.
Der Wein kam von den warmen Hängen der Provence, er war rund und schwer und leuchtete wie die Strahlen der Abendsonne. Bereits nach dem zweiten Becher stieg er Michel zu Kopf, und er konnte nichts dagegen tun, dass an diesem freudigen Tag Traurigkeit in ihm aufwallte, eine bittersüße Schwermut. Er dachte an all die Menschen, die nicht dabei sein konnten, an seinen Vater, Catherine, den kauzigen Abaëlard und all die anderen. Lange schon waren sie fort, aber vielleicht, so hoffte er, schauten sie ihnen gerade zu.
Isabelle sah ihn an, ergriff seine Hand. »Du denkst an Jean, nicht wahr?«
»Ich wünschte, er wäre da.«
»Mir fehlen Vater und Mutter«, sagte sie und fügte leise hinzu: »Und Gaspard.«
»Er fehlt mir auch«, sagte Michel. So war es. Trotz allem.
»Komm. Lass uns zu ihren Ehren feiern. Sie sollen wissen, dass wir an sie denken. Louis! Ein neues Lied«, rief sie und zog Michel von der Bank. Sie tanzten zu den Klängen der Flöte, der Knecht sprang auf den Tisch und spielte, als ginge es um sein Leben, seine Seele, die ganze Christenheit. Andere taten es ihnen nach, Adèle tanzte mit Jean Caboche, Vivienne mit Bernier, Rémy mit Pétronille, gemeinsam wirbelten sie durch den Saal, ein ausgelassener Reigen für die Lebenden und die Toten.
Dann, als die Sonne unterging und die Hausbedienten Kerzen anzündeten, stahlen sich Michel und Isabelle heimlich davon. Michel führte sie in sein Schlafgemach, nackt legten sie sich auf das Bett und liebten sich lange, geduldig, holten sich all die verlorenen Jahre zurück. Später riefen die Klosterglocken zur Matutin. Tiefe Nacht lag über der Stadt, und die meisten Gäste waren bereits nach Hause gegangen. Nur Charles Duval, Jean Caboche und Jérôme Tolbert harrten noch aus und sangen trunken ein Lied nach dem anderen. Michel und Isabelle schmiegten sich aneinander und lauschten ihren Stimmen, bis die drei Männer schließlich verstummten. Leise standen sie auf, schlüpften in ihre Kleider und stiegen zum Dachboden hinauf. Dies war ihre Nacht – sie wollten keine Stunde vergeuden. In eine Decke
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