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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Buchmalerhandwerk ist zweifellos wichtig und ehrenwert, aber es ist nur etwas für Mönche und Beginen. Du willst doch etwas Richtiges lernen. Etwas, womit du einmal Geld verdienen kannst.«
    »Geld interessiert mich nicht. Ich will etwas tun, das ich liebe. Außerdem stimmt das nicht. Es gibt auch weltliche Buchmalermeister.«
    »Nicht in Varennes.«
    »Dann gehe ich eben woanders hin.«
    »Wie willst du das anstellen, ohne einen Pfennig Geld? Weltliche Buchmalermeister gibt es allenfalls in Metz und Nancy, und dort ist das Leben teuer. Und dann ist da noch das Lehrgeld. Nein. Du bleibst bei mir. Ich zeige dir, wie man Handel treibt, und in drei, vier Jahren bist du so weit, dass du Geschäfte auf eigene Rechnung machen kannst.«
    Der Junge sprang auf. »Ich werde kein Kaufmann! Gott hasst Kaufleute!«
    »Rémy!«, sagte Isabelle. »So redet man nicht mit seinem Vater.«
    »Er ist nicht mein Vater!«
    »Halt den Mund und setz dich wieder hin!«, donnerte Michel.
    »Du hast mir gar nichts zu sagen!«
    Der Junge lief davon. »Rémy, bleib da«, rief Isabelle, doch er schlüpfte ins Skriptorium.
    »Nicht«, sagte Michel, als sie ihm nachgehen wollte. »Das hat keinen Zweck.« Sein Ärger war so schnell verflogen, wie er gekommen war. Zurück blieb eine tiefe Niedergeschlagenheit. Gott hasst Kaufleute. Das hatte ihn getroffen.
    »Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist«, sagte Isabelle. »Er hat mir versprochen, nicht mehr von dieser Idee anzufangen.«
    »Verstehst du denn nicht? Er hasst mich. Das ist der ganze Grund für diese Buchmaler-Geschichte. Er hat begriffen, wie er mich treffen kann.«
    »So ein Unsinn. Er hasst dich nicht.«
    »Natürlich tut er das. Mach die Augen auf, Isabelle.« Michel schüttelte den Kopf. »Wir hätten ihm viel früher sagen sollen, dass ich sein Vater bin. Dann wäre es nie so weit gekommen.«
    »Wir hatten gute Gründe, es nicht zu tun.«
    »Mag sein. Nun ja. Es bringt nichts, über verschüttete Milch zu jammern. Jetzt ist es zu spät.« Michel war aufgestanden und fuhr sich durch den Kinnbart, während er zum Skriptorium blickte. »Was soll ich tun, Isabelle?«, fragte er. »Allmählich bin ich mit meinem Latein am Ende.«
    »Gib ihm Zeit. Er ist in einem schwierigen Alter. Irgendwann wird er zur Vernunft kommen.«
    Sie ergriff seine Hand. Gerne hätte er ihr Lächeln erwidert, doch er ahnte, dass die kluge, weise, besonnene Isabelle sich dieses eine Mal irrte.

April 1203

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    Z um letzten Mal betrat Isabelle die Kammer, in der sie fast vier Jahre lang gearbeitet hatte. »Ich habe aufgeräumt, damit du alles findest. Die Bücher sind in der Truhe. Schreibzeug und Tinte in der Schublade unter dem Tisch. Da sind auch die Listen mit den Preisen, Gewichten und Marktzöllen. Die kleine Waage steht da drüben, die große unten im Keller.« Sie zog die Stirn kraus. »Habe ich etwas vergessen?«
    Pétronille lächelte. »Ich werde mich schon zurechtfinden.«
    »Falls du noch etwas wissen musst – ich bin ja nicht aus der Welt.« Isabelle musterte die Begine, die sie im letzten halben Jahr zu ihrer Nachfolgerin ausgebildet hatte. Pétronille hatte sich als gelehrige Schülerin erwiesen, und Isabelle war sicher, dass sie eine gute Kellermeisterin sein würde. Sie hatte vollstes Vertrauen, dass Pétronille bewahren und mehren würde, was sie aufgebaut hatte. Unter ihrer Anleitung war die stille und unscheinbare Begine zu einer begabten und umsichtigen Kauffrau geworden, was sie nicht wenig stolz machte.
    Plötzlich überkam sie heftige Wehmut. Der Abschied fiel ihr schwerer als gedacht. Gewiss, es waren vier harte, entbehrungsreiche Jahre gewesen. Aber auch vier glückliche. »Du wirst mir fehlen, Pétronille.«
    »Du mir auch, Schwester.« Die ältere Begine umarmte sie. »Hab Dank für alles, was du für uns getan hast.«
    Ihre letzten Stunden im Beginenhof vergingen viel zu schnell. Nach der Sext versammelten sich alle Schwestern der Gemeinschaft vor der Kapelle und verabschiedeten sich von Isabelle und Rémy. Viele hatten kleine Geschenke für sie gemacht, geschnitzte Kruzifixe, Halstücher und dergleichen, und überreichten sie ihnen unter Tränen. Besonders die älteren Frauen wollten gar nicht aufhören, Rémy zu herzen und zu küssen, was dem Jungen sichtlich peinlich war. Er hätte es nie zugegeben, doch auch ihm machte der Abschied zu schaffen. Vier Jahre lang war der Beginenhof sein Zuhause gewesen, hier hatte er in schweren Zeiten Liebe und Geborgenheit

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