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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Fällen hatten die Handwerker gute Arbeit geleistet, er gab jedem einen Denier Trinkgeld, bevor er zur Vesper nach Hause schlenderte.
    Am Morgen hatte es gewittert, und es war ein schwüler Tag, ungewöhnlich warm für diese Zeit des Jahres. Müde öffnete er die Tür, trat in den Eingangsraum – und blieb wie erstarrt stehen.
    »Keinen Schritt weiter, mein alter Freund und Kupferstecher«, sagte Aristide de Guillory.
    Michel hätte ihn beinahe nicht erkannt. Der Mann sah aus, als wäre er soeben dem Grab entstiegen: aschfahl, abgemagert bis auf die Knochen, die Kleider zerschlissen und starrend vor Schmutz. In seinen Augen stand ein fiebriger Glanz. Mit einer Hand hatte er Isabelle gepackt, mit der anderen hielt er ihr einen Dolch an die Kehle. Vor der Treppe standen Yves, Louis und die beiden Mägde und wagten nicht, sich zu rühren.
    »Wie …«, brachte Michel hervor.
    »Damit hast du nicht gerechnet, was?«, meinte de Guillory und lächelte wie ein Schakal. »Hast gedacht, ich wäre in Ferrys Kerker verrottet und längst krepiert. Aber so leicht bin ich nicht totzukriegen. Bevor ich meinem Schöpfer gegenübertrete, begleichen wir zwei noch eine alte Rechnung.«
    »Lasst meine Frau los«, sagte Michel. »Sie hat Euch nicht das Geringste getan.«
    »Das Weibsstück kümmert mich einen Dreck. Ich schneide ihr den hübschen Hals durch, wenn du nicht genau tust, was ich dir sage.«
    »Was wollt Ihr?«
    »Da drüben liegt dein Schwert. Du nimmst es jetzt in die Hand, dann gehen wir auf die Straße und klären ein für alle Mal, wer der bessere Mann ist: der Pfennigfuchser – oder der Ritter.«
    »Ihr wollt gegen mich kämpfen?«
    »Du hast es erfasst. Ich spalte dir den Schädel, und die ganze verdammte Stadt soll dabei zusehen.« De Guillory begann zu husten. Anschließend glitzerten Blutstropfen auf Isabelles Wange. Sie schloss die Augen.
    »Ihr seid nicht in der Lage zu kämpfen«, sagte Michel. »Ihr seid todkrank. Was Ihr braucht, ist Bettruhe und ein Arzt.«
    De Guillory lachte kehlig. »Hör sich einer diesen Krämer an. Ich halte seinem Weib ein Messer an die Kehle, und er sorgt sich um meine Gesundheit. Für dich reicht es allemal, de Fleury, und wenn man mir vorher den rechten Arm auf den Rücken bindet. Jetzt nimm das Schwert, bevor ich die Geduld verliere.«
    Michel wechselte einen Blick mit Yves, der unmerklich den Kopf schüttelte. Es gab nichts, was sie tun konnten, ohne Isabelles Leben zu gefährden. Langsam ging er zu der Kiste und ergriff sein Schwert.
    »Geh auf die Straße.« De Guillory wandte sich an die Knechte und Mägde. »Ihr bleibt hier. Eine falsche Bewegung, und eure geliebte Herrin ist tot, verstanden?«
    Michel trat durch die Tür. Als de Guillory ihm folgte, schrien die Leute auf der Straße vor Schreck. Der Ritter stieß Isabelle weg, zog seine Klinge und griff mit Schwert und Dolch an. Sein verhärmtes Gesicht war eine Grimasse des Hasses.
    Er war längst nicht mehr der furchterregende Kämpfer von einst. Was immer man ihm in Ferrys Kerker angetan hatte, es hatte ihm einen Großteil seiner Kraft und seiner Schnelligkeit geraubt. Seine Streiche waren schwerfällig, aber immer noch präzise genug, dass Michel Mühe hatte, sie abzuwehren. Er musste zurückweichen und erhielt einen Schnitt an der Wange, als de Guillory plötzlich mit dem Dolch zustieß. Der Ritter lachte. »Habe ich es dir nicht gesagt? Ich wäre dir auch dann noch überlegen, wenn ich bereits mit einem Bein im Grab stünde. Ihr Krämer seid alle gleich. Weibische Bürschlein ohne Kraft, ohne Mumm, jeder Einzelne von euch.«
    Er musste husten und war für einen Moment unachtsam. Michel nutzte die Gelegenheit und ging zum Gegenangriff über. Mit einer Serie von heftigen Hieben trieb er de Guillory zurück und schlug ihm den Dolch aus der Hand.
    »Wer sagt’s denn? Du kannst ja richtig kämpfen. Hat dich die Angst um dein Weib etwa stark gemacht?«
    »Nein. Die Gewissheit, dass ich Euch töten werde.«
    Diesmal verging de Guillory das Lachen. Michel deckte ihn mit Streichen ein, Schritt um Schritt wich er zurück, die Menschen, die sie umringten, machten ihm Platz. Der Kampf verlief nicht so, wie er es sich ausgerechnet hatte, und in seinen Augen erschien eine Regung, die Michel dort noch nie gesehen hatte, nicht einmal an jenem Tag, als Ferry ihn in Ketten gelegt hatte: Verzweiflung.
    »Ihr hättet nicht herkommen dürfen, de Guillory. Wir haben Euch schon vor langer Zeit besiegt. Ihr hättet Euch damit abfinden

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