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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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geblieben war.
    König Philipp residierte seit seinem Sieg in der Burg, die auf einem Hügel über der Stadt Wassenberg thronte. Ein Heerlager umgab die Festung, eine gewaltige Zeltstadt, die Tausenden Rittern und Kriegsknechten Unterkunft bot. Die Latrinengräben stanken eine halbe Meile gegen den Wind, und der Rauch von hundert Herdfeuern stieg zum bewölkten Himmel hinauf.
    Im Innenhof der Burg herrschte eine träge, beinahe schläfrige Stimmung. Im Schatten unter den Dächern saßen Ritter und Fußknechte und erholten sich von den Strapazen der vergangenen Jahre, indem sie dösten, Tric Trac spielten oder vor den Mägden mit ihren Taten auf dem Schlachtfeld prahlten.
    Vor dem Eingang des Palas’ sprach Michel eine der beiden Torwachen an. »Michel de Fleury, Bürgermeister von Varennes-Saint-Jacques, und die Ratsherren Charles Duval, Archambaud Leblanc, René Albert und Eustache Deforest. Wir bitten Seine Majestät König Philipp von Schwaben um eine Audienz.«
    »Wartet hier«, sagte der Wächter und verschwand im Palas. Kurz darauf kam er mit einem grauhaarigen Mann in fließenden Gewändern zurück. Michel erkannte ihn als einen Legisten der Hofkanzlei.
    »Der Rat der Zwölf aus Varennes? Bitte folgt mir.«
    Sie durchquerten den großen Saal, der nahezu leer war, abgesehen von vier Rittern, die am kalten Kamin saßen und sich an Bier und gebratenem Fleisch gütlich taten. Der Rechtsgelehrte führte sie zu einer hölzernen Empore am anderen Ende der Halle. Oben standen die Bänke der Hofkanzlei. Auf den Tischen stapelten sich Schriftstücke aller Art, und Michel stellte sich vor, wie Philipp am Tag nach seinem Sieg hier gesessen, der Reihe nach seine Vasallen und Bundesgenossen aufgerufen und für ihre Treue mit Geld, Ämtern und Ländereien belohnt hatte.
    Heute jedoch war außer dem grauhaarigen Legisten niemand da. Der Saal wirkte so verschlafen wie der Rest der Burg.
    »Leider kann Euch der König nicht empfangen«, sagte der Gelehrte. »Er ist heute früh nach Aachen aufgebrochen, um mit dem Pfalzgrafen von Sachsen einen Frieden auszuhandeln. Aber er hat mich ermächtigt, Euch dies zu überreichen.«
    Er trat an den Tisch und griff nach einem Dokument. Es war Rémys Fälschung von Barbarossas Privilegienbrief, die Philipp mit seinem Siegel und seiner Unterschrift versehen hatte.
    »Der König dankt Euch für Eure Treue. Gott segne Eure Stadt.«
    Er überreichte Michel die Urkunde.
    Mit dieser lapidaren Geste gewann Varennes nach Jahren des Kampfes endlich die Freiheit.
    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    D reitausend Menschen hatten sich auf dem Domplatz versammelt, ein wogendes Meer aus Leibern, Mützen, Kleidern verschiedenster Farben. Dreitausend Augenpaare blickten gebannt zur Pforte des Rathauses, wo die Steinmetze ein kleines Gerüst errichtet hatten. Einer der Männer kletterte hinauf und entfernte das Tuch, das den Schlussstein über dem Portal verhüllte. Ein Raunen ging durch die Menge.
    Michel, der mit seiner Familie und den anderen Ratsherren auf der Treppe des Doms stand, ergriff Isabelles Hand. Die Steinmetze hatten hervorragende Arbeit geleistet: Sie hatten den Stein geglättet, Philipps Privilegien eingemeißelt und die Lettern mit purem Gold ausgegossen, sodass es aussah, als hätte der Allmächtige sie mit flammender Feder im Stein verewigt. Nun sah jeder, der Varennes besuchte und vor das Rathaus trat, welche Rechte der Stadt und ihren Bürgern gehörten.
    Das Befestigungsrecht.
    Das Markt-, das Zoll- und das Münzregal.
    Die Freiheit, niemandem Heerfolge leisten zu müssen.
    Die niedere und die hohe Gerichtsbarkeit.
    Das Recht auf eine eigene Brücke.
    Als der Steinmetz von der Leiter stieg, begann das Fest. Jeder Gastwirt hatte einen Stand auf dem Domplatz aufgebaut und stach seine Bier- und Weinfässer an. Spielleute ergriffen ihre Instrumente und machten Musik, die Leute sangen und tanzten zum Klang der Pfeifen und Fiedeln. Duval und die anderen Ratsherren mischten sich unter das Volk, um mit den Bürgern zu feiern. Michel blieb noch eine Weile stehen und betrachtete den Stein über der Rathaustür, dessen Schrift in der Sonne glühte.
    Vor neunzehn Jahren war sein Traum von Freiheit geboren worden. Heute, an diesem warmen Spätsommertag, hatte er sich endlich erfüllt.
    Michel lächelte seinen Sohn an. Rémy war seit einigen Monaten ein vollwertiger Geselle, der bei Meister Rabel in Sélestat gutes Geld verdiente und beharrlich an seinem Ruf arbeitete, einer der besten Buchmaler

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