Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Lothringens und des Elsass zu sein. Damit er mit seiner Familie diesen Tag feiern konnte, hatte ihm sein Meister eine Woche freigegeben.
»Schau es dir an, Rémy«, sagte Michel. »Das ist dein Werk. Ohne dich hätten wir das nie geschafft.«
»Es war Mutters Idee, schon vergessen?«, erwiderte der Junge.
»Eine Idee taugt nichts, wenn keiner da ist, der etwas daraus machen kann«, sagte Isabelle lächelnd.
»Schade, dass niemand je davon erfahren wird«, sagte Rémy, während er das Rathausportal betrachtete. »Dabei ist das vielleicht meine bedeutendste Arbeit.«
»Du bist noch jung«, meinte Michel. »Ich bin sicher, du wirst noch viele große Werke schaffen.«
»Lass uns etwas essen gehen, Vater. Ich habe Hunger.«
Michel hob eine Augenbraue. »›Vater‹?«
Rémy grinste. »Na ja. Das bist du doch, oder?«
Lachend klopfte Michel ihm auf die Schulter.
»Gedankt sei dem Herrn und all seinen Erzengeln«, murmelte Isabelle, als sie die Stufen hinabstiegen.
Anhang
A NMERKUNGEN ZUM H ISTORISCHEN H INTERGRUND
Dieser Roman erzählt vom Aufstieg einer Kaufmannsfamilie und dem Freiheitskampf der fiktiven Stadt Varennes-Saint-Jacques im Hochmittelalter.
Im 12. und 13. Jahrhundert waren die Bürger vieler deutscher Städte nicht länger bereit, sich ihren kirchlichen und weltlichen Herren unterzuordnen. Besonders die Kaufleute, die durch den Fernhandel mit den Nachbarländern und den Kreuzfahrerstaaten zu Reichtum gekommen waren, kämpften selbstbewusst und energisch für ihre Freiheit. Nach dem Vorbild der lombardischen und toskanischen Stadtrepubliken forderten sie von ihren Bischöfen das Recht auf Selbstbestimmung und Mitsprache bei politischen und wirtschaftlichen Prozessen.
In der Folge brachen in Mainz, Speyer, Köln und vielen anderen Städten Machtkämpfe aus. Die Kaufleute nutzten ihren Reichtum, ihr Verhandlungsgeschick und ihre Verbindungen zu den Fürstenhäusern, um der städtischen Obrigkeit Privilegien abzutrotzen. Während des 13. Jahrhunderts erlangten viele deutsche Städte auf diese Weise ihre Freiheit und bildeten kleine Stadtrepubliken, denen ein gewählter Rat vorstand. Diese frühen Ansätze von Demokratie trugen freilich starke oligarchische Züge, denn die politische Macht lag zumeist in den Händen einer elitären, abgeschotteten Oberschicht. Dass auch Handwerker und Stadtbauern daran teilhatten, wie im Roman geschildert, war eher die Ausnahme. Im Normalfall wurden die Handwerkszünfte erst im 14. Jahrhundert ratsfähig.
Bei ihrem Kampf gegen ihre Herren war den Kaufleuten jedes Mittel recht, und sie schreckten auch vor Betrug nicht zurück. Was ich in den letzten Kapiteln des Romans schildere, ist vermutlich genauso in Lübeck geschehen: Um 1226 fälschten die Bürger einen alten Privilegienbrief Barbarossas, dichteten eine Reihe von Rechten hinzu und legten ihn Kaiser Friedrich II. zur Bestätigung vor. Der Monarch fiel auf den Schwindel herein und gewährte den Lübeckern so umfassende Freiheiten.
Während Michel de Fleury, Isabelle Caron und die anderen Haupt- und Nebenfiguren des Buches Produkte meiner Fantasie sind, haben die meisten Herren, Fürsten und Bischöfe, die in der Geschichte auftreten, tatsächlich gelebt. Johann I. war von 1186 bis 1189 Reichskanzler von Kaiser Barbarossa und bis 1212 Erzbischof von Trier. Er ordnete das Erzbistum neu, führte es zu großer weltlicher Macht und behauptete sich gegen die benachbarten Fürsten. Simon Châtenois war Herzog von Lothringen von 1176 bis zu seinem Tod im April 1206. Wie er sich während Barbarossas Kreuzzug verhalten hat, ist in der Forschung nicht zweifelsfrei geklärt. Ich habe mich dafür entschieden, ihn nicht daran teilnehmen zu lassen. Seine Krankheit am Ende seines Lebens habe ich aus dramaturgischen Gründen erfunden. Da Simon bei seinem Tod sechsundsechzig Jahre alt war – in jener Zeit ein geradezu biblisches Alter –, erscheint ein schweres Leiden jedoch nicht allzu weit hergeholt.
Auch Ferry de Bitche und sein Sohn Ferry II., die in der deutschsprachigen Literatur meist Friedrich I. und Friedrich II. von Lothringen genannt werden, haben wirklich gelebt. Ferry der Jüngere wurde nach Simons Tod der neue Herzog von Oberlothringen, musste sich jedoch zuerst gegen seinen Vater behaupten, der den Titel für sich beanspruchte. Ferry der Ältere starb im April 1207, fast auf den Tag ein Jahr nach seinem Bruder Simon. Sein Tod beendete den Konflikt um die Führung Oberlothringens, und Ferry der Jüngere
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