Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
spazieren geht. Das tut Ulman jeden Sonntag.«
»Und wie wollt ihr verhindern, dass er sich nach seiner Freilassung an euch rächt?«
»Während er in unserem Gewahrsam ist, werden seine Anhänger es nicht wagen, uns anzugreifen. Wir halten ihn so lange fest, bis er uns die erforderlichen Urkunden ausgestellt hat, die wir brauchen, um das Schöffenkollegium umzubilden. Wir entheben Martel, Géroux und die anderen Ministerialen ihrer Ämter und besetzen sie mit unseren Leuten. Zumindest die wichtigsten, die Münze, den Marktzoll und so weiter.«
»Den Stadtschreiber und den Dreckmeister darf Ulman gern behalten«, bemerkte Pérouse und erntete damit Baudouins und Vanchelles Gelächter.
»Zuerst aber ernennen wir einen neuen Schultheiß«, fuhr Gaspard fort. »Wenn wir die Befehlsgewalt über sämtliche Soldaten und Büttel des Bistums haben, muss sich Ulman uns auch nach seiner Freilassung beugen. Ich weiß, all das ist gefährlich«, räumte er ein, als er Michels erschüttertes Gesicht bemerkte. »Aber wenn wir nicht endlich für mehr Eigenständigkeit kämpfen, wird Ulman uns bald ruinieren …«
Michel unterbrach ihn, indem er die Hand hob. »Euer großes Vorbild ist also Mainz. Habt ihr vergessen, wie die Geschichte ausgegangen ist? Der Aufstand ist außer Kontrolle geraten, und der Erzbischof wurde ermordet. Für diesen Frevel hat der Papst die Mainzer exkommuniziert, und der Kaiser belegte ihre Stadt mit der Reichsacht. Er ließ die Stadtmauern einreißen und die Verantwortlichen in den Kerker werfen. Willst du, dass es uns genauso ergeht?«
»Varennes ist nicht Mainz«, wischte Gaspard seinen Einwand vom Tisch. »Der Mainzer Erzbischof ist ein Reichsfürst mit großem Einfluss in der Hofkanzlei. Ulman dagegen ist ein Niemand. Der Kaiser würde keinen Finger für ihn krumm machen.«
»Barbarossa steht selbst mit der Kirche auf Kriegsfuß«, sagte Vanchelle. »Wer weiß, vielleicht würde er uns sogar bei unserem Kampf unterstützen.«
»Das ist das Dümmste, was ich seit Langem gehört habe«, entgegnete Michel unwirsch. »Barbarossa würde riskieren, sich mit dem Papst zu überwerfen, wenn er das täte.«
»Er hat schon vielen Städten geholfen, der Kirche Rechte abzutrotzen.«
»Im Rahmen friedlicher Verhandlungen. Nicht, wenn sie vorher ihren Bischof in den Kerker gesteckt haben, Herrgott noch mal!«
Vanchelle verzog beleidigt das Gesicht.
»Wie dem auch sei«, sagte Gaspard. »Das ist unser Plan. Nur so erreichen wir unser Ziel.«
»Wenn das so ist«, erwiderte Michel, »könnt ihr nicht mit mir rechnen.«
Schweigen folgte seinen Worten.
Gaspard bedachte ihn mit einem stechenden Blick. »Wieso willst du uns nicht helfen? Ist es dir gleichgültig, was aus Varennes wird?«
»Natürlich nicht. Aber Gewalt ist keine Lösung.«
»Ulman wird kein Haar gekrümmt. Wir wollen ihn nur für ein paar Tage festhalten, mehr nicht.«
»Das haben sich die Mainzer vermutlich auch gesagt. Nein, Gaspard, ich bin nur dabei, wenn wir einen friedlichen Weg einschlagen. Wir sind keine Strauchdiebe, sondern Kaufleute. Wir entführen niemanden, wir verhandeln.«
»Ulman lässt uns keine Wahl. Wenn er bereit wäre, uns entgegenzukommen und uns an der Macht zu beteiligen, hätte er es längst getan.«
»Gewiss gibt es Möglichkeiten, Druck auf ihn auszuüben, ohne ihn einzusperren.«
Gaspard verlor allmählich die Geduld. »Gut. Unser Plan gefällt dir nicht. Dann sag uns, was du tun würdest.«
»Wenn wir Veränderungen zu unseren Gunsten erreichen wollen, muss die Gilde unser Werkzeug sein«, begann Michel. »Dafür ist sie da. Wir sollten die Sache bei der nächsten Versammlung ansprechen und gemeinsam mit den Schwurbrüdern beraten, wie wir Ulman und dem Schöffenkollegium Mitspracherechte beim Markt-, Münz- und Zollwesen abringen können.«
»Hast du mir gestern nicht zugehört?«, fragte Gaspard. »Das haben wir alles schon versucht! Die Gilde ist zu nichts zu gebrauchen. Géroux und seine Speichellecker sorgen dafür, dass der ganze Haufen vor dem Bischof buckelt.«
»Ich habe dir sehr wohl zugehört, und ich weiß, dass es schwierig werden wird«, sagte Michel und dachte an seine Begegnung mit Géroux und dessen Drohung: Ich werde nicht zulassen, dass Ihr der Gilde Scherereien macht. »Dennoch, es ist der einzig vernünftige Weg.«
»Es ist töricht. Du erreichst damit gar nichts, außer dich vor der ganzen Gilde zu blamieren.«
Vielleicht hatte Gaspard recht mit seiner Einschätzung, vielleicht
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